Syrische Christen : Das Land des Paulus verliert seine Christen
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Bedrohte Christen: Gottesdienst in der Kapelle des kirchlichen Armenasyls Mar-Elias-Haus in Aleppo. Bild: AFP
In Syrien wird noch das Aramäische, die Sprache Jesu, gesprochen, doch fürchten jetzt viele syrische Christen, von der politischen Krise zerrieben zu werden. Ein Appell zum Dableiben.
Sind dort etwa Christen Araber?“, fragte einst Amerikas Präsident Gerald Ford, als ihm die komplexe konfessionelle Situation im Nahen Osten erklärt wurde. Manche Europäer stellen diese Frage bis heute. Die Antwort ist, dass die Christen die Urbewohner Syriens sind und zugleich urarabisch in ihrer Herkunft. Noch vor der Entstehung des Christentums und des Islams siedelten in Südsyrien arabische Stämme wie die Ghassaniden, die sich später taufen ließen; die Taghlib ließen sich in vorislamischer Zeit in Aleppo und im Nordosten Syriens nieder. Syrien brachte eine ganze Reihe christlicher Konfessionen und Kirchen hervor, es war ein Land der Propheten, Heiligen und Mönche. In allen Städten und in vielen Ortschaften Syriens, oft auf exponierten Hügeln, finden sich bis heute Klöster, Kirchen, christliche Pilgerstätten, die die Geschichte Syriens und der Menschheit mitgeprägt haben.
Historisch betrachtet, verbindet syrische Muslime und Christen in Syrien viel miteinander. Selbst in jüngerer Vergangenheit, wie während des politischen Kampfes gegen das französische Mandat und der Jahre danach, bekannten die syrischen Christen sich wiederholt zur arabischen Identität. In allen Bereichen von Kultur und Gesellschaft spielten Syriens Christen eine so herausragende Rolle, dass sie den Muslimen unleugbar ebenbürtig waren.
Fast ein Religionskrieg
Die jüngsten Ereignisse in Syrien haben die Lage der Christen freilich erschwert. Das Regime, das sich gern als Minderheitenschützer empfiehlt, stellte die Christen vor die Wahl: Regimetreue oder Revolution. Der Machtapparat glaubte, dass die Christen sich für Assad und gegen die Sunniten, die größte Gruppe der syrischen Bevölkerung, entscheiden würden. Aber die Christen waren weniger kooperativ, als das Regime erwartet hatte. Bei allem Zusammenhalt als Glaubensgruppe standen sie nicht abseits der syrischen Bevölkerung, sie litten nicht weniger als alle anderen, und so unterschiedlicher Meinung die Syrer insgesamt sind, so vielfältig positionierten sich die syrischen Christen.
Als das Assad-Regime begann, mit allen Arten von Waffen bis hin zum Einsatz von Chemiewaffen die eigene Bevölkerung zu bekriegen, fachte das die Volksproteste nur an. Aus einer friedlichen Bewegung wurde ein bewaffneter Aufstand, der fast ganz Syrien erfasste. Bald drohte ein Bürgerkrieg. Die meisten Alawiten hielten zu ihrem Mann an der Staatsspitze. Erste Massaker durch Shabbiha-Milizen des Regimes in sunnitischen Dörfern führten beinahe zum Bruch zwischen den Glaubensgruppen. Es fehlte nicht viel, und der Krieg in Syrien, dessen Ende nach wie vor nicht absehbar ist, wäre ein Religionskrieg geworden.
Uneinigkeit im christlichen Lager
Von den Christen sprechen heißt, von Syrien zu sprechen. Wenn wir hier ihre Haltung als Religionsgemeinschaft beleuchten, dann nur deshalb, weil durch den syrischen Konflikt Unterschiede zwischen den Glaubensgruppen zutage traten. Diese Gegensätze hervorzuheben war den Syrern bislang fremd; sie waren stolz darauf, dass ihr Land ein einzigartiges Mosaik der Konfessionen und ein Modell des Zusammenlebens darstellte. Leider setzen nun viele Seiten - vor allem das Regime, aber auch westliche Staaten und religiöse Extremisten - auf die Unterschiede zwischen den Volksgruppen.
Assads Regime verfolgt eine Politik, die bestimmte Glaubensgruppen bevorteilt und ihnen zugleich Angst macht, damit diese sich hinter das Regime stellten und sich dessen Behauptung zu eigen machten, es schütze die Minderheiten. Das Regime spielt die konfessionelle Karte mit Erfolg, doch die Christen reagierten uneinheitlich: Seit Ausbruch der Revolte im März 2011 stellten sich manche hinter Assad, andere trugen die Revolution mit, wieder andere versuchten neutral zu bleiben.