Suhrkamps neues Domizil : Fasten zum Erfolg
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Das neue Suhrkamp-Gebäude in Berlin, entworfen von Roger Bundschuh Bild: Andreas Rost
An Elektrokabeln und Zementeimern vorbei beziehen an diesem Dienstag 135 Suhrkamp-Mitarbeiter ihre neue Arbeitsstätte. Der Verlag kommt im Berliner Scheunenviertel an. Eine Bleibe mit Zukunft?
Glas und Beton prägen die Fassade des neuen Suhrkamp-Hauses am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. In seiner Kompaktheit und der formalen Strenge ruft es Erinnerungen an den früheren, längst abgerissenen Frankfurter Verlagssitz aus den fünfziger Jahren wach.
Der Berliner Architekt Roger Bundschuh, der gegenüber dem neuen Gebäude bereits einen markanten schwarzen Kubus errichtet hat, spielt mit seinem Bau jedoch nicht auf Frankfurt an, sondern auf den das Viertel prägenden Stil der Neuen Sachlichkeit, insbesondere Hans Poelzigs. Noch umwickeln Bauzäune das Haus, und der kleine Platz davor, der einmal von einem Restaurant bespielt werden soll, ist noch eine rechte Wüstenei. An Elektrokabeln und Zementeimern vorbei beziehen heute gleichwohl alle hundertfünfunddreißig Suhrkamp-Mitarbeiter ihre neue Arbeitsstätte.
Vor den Menschen aber kamen die Bücher. Zwischen achtzig- und hunderttausend sollen es gewesen sein, die in den vergangenen Wochen in Wannen ihren Weg aus dem einstigen Provisorium des Verlags in der Pappelallee ins neue Domizil nahmen. Von den Lektoren des Hauses vollständig gesichtet und neu sortiert, verteilen sie sich nun auf fünf Regalkilometern, die durch alle sechs Stockwerke sowie entlang der Innentreppe führen.
Darunter finden sich alle Erstausgaben, die Insel-Bücherei vom jüngsten Titel von Virginia Woolf bis zurück zu Band1 aus dem Jahr 1912, Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, ebenfalls komplett die Reihen Suhrkamp Wissenschaft sowie die Taschenbücher der legendären Edition Suhrkamp in allen Farben des Regenbogens. Der gediegene, Geist und Atmosphäre verströmende Anblick kontrastiert dabei mit der Robustheit der auch im Innern roh belassenen Betonwände.
Dass Suhrkamp sich mit Birgit Steenholdt-Schütt und der Ibau AG für den Neubau zusammengetan hat, ist ein Glücksfall für den Verlag, der noch vor ein paar Jahren durch einen heftigen Gesellschafterstreit und ein Insolvenzverfahren stark gebeutelt wurde. Mit der Ibau AG hatte man nach dem glücklichen Ausgang der juristischen Auseinandersetzung dann nicht nur eine Partnerin an der Seite, die über langjährige Erfahrungen in der Immobilienentwicklung verfügt. Die Hamburger Juristin Birgit Steenholdt-Schütt verfolgt zudem schon seit Jahren den Plan, die Nachbarschaft um den Rosa-Luxemburg-Platz in ein Kulturquartier mit Galerien, Cafés und Bars sowie einem Kunstverein zu verwandeln. Ein Verlag passte also bestens ins Konzept.
Der Stadt ganz nah
Über Summen will Suhrkamp nicht sprechen. Nur dass man beim Bau auf die Kosten geachtet habe und von der Stadt mit Fördermitteln bezuschusst wurde, findet Erwähnung. Gewiss aber ist eine solche Investition für einen unabhängigen Verlag mittlerer Größe, der 2018 einen Umsatz von 36,5 Millionen Euro erzielt hat, ein finanzieller Kraftakt, der sich selbst mit jüngsten Bestseller-Erfolgen wie Elena Ferrantes Tetralogie oder Andreas Michalsens Fasten-Ratgeber nicht allein stemmen lässt.
Die Möglichkeiten des Neubaus, alles denken zu dürfen und nicht auf vorhandene Architektur und Struktur zurückgreifen zu müssen, erlaubte ein Spiel mit Symbolen. Dem Bauherrn war trotz all des benötigten Raums für die Bücher vor allem an Transparenz gelegen. Die markanten bodentiefen Fenster zur Südseite des Gebäudes hin fluten die offenen Arbeitsbereiche mit Licht – während zur lauten Torstraße im Norden hin die kleinen Büros liegen. Die großen Fenster vermitteln zudem den Eindruck, der Stadt ganz nah zu sein. Vom obersten Stockwerk hingegen öffnet sich von der Terrasse der Blick über die weitläufige Kulisse von der Volksbühne über den Alex bis zum Dom, der Synagoge und dem Bundestag. Vor der Terrasse befindet sich ein großzügig angelegter Raum, der sich unterschiedlich nutzen lässt. Da der Suhrkamp Verlag sich mit seiner neuen Adresse auch in der Stadt selbst bemerkbar machen will, sich nicht nur zum Arbeiten zurückziehen, sondern auch nach außen öffnen will, wird es in Zukunft sicherlich hier oben die eine oder andere Hauslesung im kleineren Kreis geben.
Wie der Verlag seinen Umzug feiern wird, das allerdings weiß er selbst noch nicht. Darüber wollen sie erst nachdenken, wenn er überstanden ist. Man wird sich beeilen müssen. Denn schon im kommenden Jahr gibt es den nächsten Anlass, bei Suhrkamp zu feiern: Dann blickt der Verlag auf seine Gründung vor siebzig Jahren zurück.