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L’Italia non è deutsch : Reporter in Italien greifen Politikerin an

Sie ist mindestens zweisprachig unterwegs: Julia Unterberger Bild: dpa

Die Südtirolerin Julia Unterberger ist seit langem in der italienischen Politik. Sie gab kund, dass Präsident Mattarella weitermacht. Doch weil sie mit einer Südtiroler Journalistin deutsch sprach, gingen italienische Reporter auf sie los.

          3 Min.

          Die Südtirolerin Julia Unterberger ist seit 2018 Mitglied des Senats, der kleineren der beiden Parlamentskammern in Rom. Zuvor war die 59 Jahre alte Rechtsanwältin aus Meran in allerlei politischen Funktionen in der autonomen Provinz tätig. Unterberger gehört zur christlich-demokratischen Südtiroler Volkspartei (SVP), der zuletzt etwas schwächelnden „Staatspartei“ in der norditalienischen Provinz. Die SVP regiert seit den ersten freien Wahlen von 1948 ununterbrochen in der Provinzhauptstadt Bozen und darf sich einige Verdienste beim Kampf um die schrittweise erweiterte Selbstverwaltung Südtirols zuschreiben. Ein Eckpfeiler der Autonomie ist das Recht auf Gebrauch der Muttersprache.

          Matthias Rüb
          Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

          Rund zwei Drittel der gut 530.000 Einwohner Südtirols sprechen Deutsch als Muttersprache, ein knappes Viertel Italienisch. Daneben gibt es die Sprach- und Volksgruppe der Ladiner, die etwa vier Prozent der Bevölkerung ausmachen. Südtirol ist offiziell dreisprachig. Je nach Gemeinde und Gebiet sind jeweils Deutsch oder Italienisch prävalent, in einigen Dolomitentälern ist Ladinisch die erste Sprache.

          In der Südtiroler Politik ist Julia Unterberger seit fast zwei Jahrzehnten eine feste Größe. Ihr Ex-Ehemann Karl Zeller ist Vizeparteichef der SVP. Im politischen Betrieb in Rom ist Unterberger dagegen eher kein Schwergewicht. Immerhin ist sie Vorsitzende der Fraktion „Für die Autonomie“, zu der aber nur acht der insgesamt 321 Senatoren gehören.

          Unerwartete Schlüsselrolle

          Bei den turbulenten Präsidentenwahlen in der vergangenen Woche spielte Senatorin Unterberger unerwartet eine Schlüsselrolle. Jedenfalls im Medienbetrieb, der das absurde Theater unter abstrusen Pandemiebedingungen im Plenumssaal des Abgeordnetenhauses hyperventilierend verfolgte. Als Fraktionschefin gehörte Unterberger am Samstagmittag zu der kleinen Abordnung von Parlamentariern, die nach sieben erfolglosen Wahlgängen im Parlament zu Sergio Mattarella in den Quirinalspalast pilgerte, um den scheidenden Staatschef zum Verbleib im höchsten Staatsamt für weitere sieben Jahre zu überreden. Wozu sich Mattarella, 80 Jahre alt, aus Staatsräson schließlich bereitfand.

          Während die anderen Delegationsmitglieder nach dem Treffen mit Mattarella zurück zu ihren Fraktionen eilten, nahm sich Unterberger ein paar Minuten Zeit für die vor dem Präsidentenpalast wartenden Journalisten. Es war die Senatorin aus Südtirol, die faktisch als erste bestätigte, dass Mattarella den heillos zerstrittenen Parteien „eine Hand reichen“ werde, damit diese sich schließlich doch auf einen gemeinsamen Kandidaten würden einigen können: auf ihn. Diese Breaking News übermittelte Unterberger zunächst italienischen Medien, indem sie, auf Italienisch versteht sich, einen Satz Mattarellas aus dem Treffen zitierte, der weithin sogleich als Wort staatsmännischer Weisheit gepriesen wurde: „Avevo altri piani, ma darò una mano.“ (Ich hatte andere Pläne, aber ich werde aushelfen.)

          „Sprecken Sie Deutsch?“

          Anschließend trat Senatorin Unterberger vor das Mikrofon der Rom-Korrespondentin des deutschsprachigen Senders „RAI Südtirol“, Ulrieke van den Driesch, mit der sie schon vor dem Treffen der Fraktionschefs mit Mattarella ein Interview verabredet hatte. Ein Pulk von Journalisten umringte die beiden Frauen. Unterberger fragte van den Driesch: „Reden wir auf Deutsch, Ulli, oder?“ Darauf rief einer aus der Journalistenschar dazwischen: „Sprecken Sie Deutsch? Ma l‘Italia non è deutsch!“ Worauf Unterberger, an den Journalisten gewandt, auf Italienisch: „Ich bin die Vorsitzende der Fraktion ,Für die Autonomie‘. Also, ein wenig Respekt. Ich spreche Deutsch, in Ordnung?“ Doch das gefiel dem Journalisten gar nicht: „Siamo in Italia però“ (Aber wir sind in Italien). Darauf Unterberger, wieder auf Italienisch: „Ja, schon recht. Aber auch Südtirol ist in Italien, und dort spricht man . . .“ Die Senatorin konnte den Satz nicht vollenden, denn aus dem Pulk kam die nächste Widerrede, auf Italienisch: „Der Souveränismus ist erledigt, kurz gesagt.“ Antwort Unterberger, ebenfalls auf Italienisch: „Das hat mit Souveränismus nichts zu tun. Ihr müsst das andere akzeptieren.“

          Der Sprachenstreit auf dem Platz vor dem Römer Quirinalspalast hat in Südtirol erwartungsgemäß für einigen Wirbel gesorgt. Die Oppositionspartei „Südtiroler Freiheit“, die sich für eine Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich einsetzt, bezeichnete den Vorgang als „verstörend“ und als Ausdruck eines „geschmacklosen Nationalismus“. Das Recht auf Gebrauch der Muttersprache sei „kein Almosen, sondern ein verfassungsgeschütztes autonomes Grundrecht der Südtiroler“, für das man sich nicht rechtfertigen und für welches man sich schon gar nicht anpöbeln lassen müsse, sagte der Fraktionsvorsitzende der Partei im Bozener Landtag, Sven Knoll.

          Nachdem schon am Wochenende in Südtiroler Medien das Schweigen der Bozener Regierung zu dem Vorfall angeprangert worden war, äußerte sich am Montag schließlich auch der SVP-Vorsitzende Philipp Achammer. In einer Stellungnahme beklagte Achammer das „peinliche nationalistische Gehabe einiger ewig gestriger Journalisten, das es im Jahr 2022 eigentlich nicht mehr geben sollte – gerade weil sich dieselben immer wieder auf die Werte der Verfassung berufen, und dazu gehört bekanntlich auch der Minderheitenschutz“. Die SVP werde sich auch künftig „gegen solche inakzeptablen Wortmeldungen zur Wehr“ setzen, versicherte Achammer und fügte hinzu: „Senatorin Julia Unterberger hat absolut richtig reagiert.“

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