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Streit um das Schächten : Der Tod, der in den Regelbüchern steht

  • -Aktualisiert am
Eine Aktion des "Arbeitskreises humaner Tierschutz“ Anfang November vor einer Moschee in Berlin.

Eine Aktion des "Arbeitskreises humaner Tierschutz“ Anfang November vor einer Moschee in Berlin. Bild: dpa

Der Streit um das religiös konforme Töten von Schlachttieren während des islamischen Opferfestes spitzt sich wieder zu. Die Kritiker verfolgen inzwischen ganz verschiedene Konzepte.

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          In dem Film, der in den vergangenen Tagen im Internet kursierte, sieht man eine Gruppe von Tierschutzaktivisten, die sich vor der Berliner Sehitlik-Moschee postiert hat. Einer der Männer, verkleidet mit einer muslimischen Gebetskappe, säbelt mit einem Messer ungelenk am Hals eines anderen Aktivisten herum, der ein Schafskostüm trägt; rotes Kunstblut fließt. Auch der Deutsche Tierschutzbund hat anlässlich des islamischen Opferfests in diesen Tagen eine Pressemitteilung herausgegeben, in der von schartigen Messern, schmerzhaftem Nachschneiden und Erstickungskrämpfen die Rede ist.

          Damit ist die Debatte um das betäubungslose Schlachten in diesem Jahr heftiger wieder aufgelebt als während früherer Opferfeste; vielleicht unter anderem, weil das niederländische Parlament vor wenigen Monaten die Ausnahmeregelung abgeschafft hat, die das Schlachten ohne Betäubung aus religiösen Gründen im Nachbarland erlaubte. Die Gegner des Verfahrens, die sich jetzt hier zu Wort melden, fordern jedenfalls ein ebensolches Verbot.

          23 Anträge in einem Jahr

          Auf politischer und wissenschaftlicher Ebene ist die Diskussion längst an einem anderen Punkt angelangt: Zum einen behandelt man die Frage, wie das Gebot des muslimischen und jüdischen Glaubens, das Tier müsse unversehrt sein, wenn der Hals durchschnitten wird, sich möglicherweise doch vereinbaren lässt mit einer vorherigen kurzen Betäubung. Denn damit hätte man einen Kernpunkt der Kritik erst einmal ausgeräumt. Zum anderen geht es einigen Kritikern darum, die gesetzliche Regelung verschärft anzuwenden, die derzeit das Schlachten ohne Betäubung mit Ausnahmegenehmigung zulässt.

          Eine solche Genehmigung kann nach Paragraph 4a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes erteilt werden. Im Jahr 2010 verzeichnete der Deutsche Tierschutzbund, der die Lage regelmäßig sondiert, bundesweit 23 Anträge, von denen zwei genehmigt wurden. Ein weiterer Antragsteller erhielt eine Teilgenehmigung zum wöchentlichen Schlachten von dreißig Schafen und zwei Rindern. Insgesamt wurden anlässlich des Opferfestes 271 Schafe mit Erlaubnis betäubungslos geschlachtet. Jüdische Glaubensgemeinschaften stellten 2010 keine Anträge.

          Betäubung vor Schnitt

          Der Begriff „Schächten“ wird in der Debatte inzwischen vermieden, denn er ist nicht mehr eindeutig. Früher bezeichnete man damit generell das Schlachten unbetäubter Tiere, deren Hals mit einem Messer durchschnitten wird, wobei alle darin vorhandenen Strukturen - die großen Blutgefäße, die Luft- und Speiseröhre, der Vagusnerv - miterfasst und durchtrennt werden. „Seit mehreren Jahrzehnten gibt es eine weltweite Bewegung für reversible Betäubungsverfahren bei der religiösen Schlachtung“, sagt Jörg Luy, Leiter des Instituts für Tierschutz der Freien Universität Berlin.

          Die Tiere werden betäubt, etwa mit einer Elektrozange bei Schafen oder einem elektrischen Wasserbad bei Geflügel, und sind beim Schnitt ohne Bewusstsein. „Würde man nach einer solchen Betäubung den Schnitt unterlassen, wachten die Tiere wieder auf“, sagt Luy. Somit seien die Tiere im Prinzip unverletzt auch noch im Moment der Schlachtung. „Diese Verfahren werden deshalb heute von einem Teil der Muslime und der Juden anerkannt“, sagt Luy.

          Die Ausnahmeregelung

          Doch die Ausnahmeregelung ist geblieben, zumindest in Deutschland. „Derzeit hat sich die Praxis herausgebildet, dass eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, wenn der Antragsteller Unterschriften von Gläubigen vorweist, die angeben, auf betäubungslos geschlachtetes Fleisch angewiesen zu sein“, sagt der Rechtsanwalt Hans-Georg Kluge, der den hessischen Lahn-Dill-Kreis vor dem Bundesverfassungsgericht 2009 und dem Bundesverwaltungsgericht 2006 vertrat. Dem Kreis, dessen Veterinärbehörde für einen muslimischen Schlachter zuständig ist, wurde dabei nicht gestattet, den Gesetzestext schärfer auslegen zu dürfen.

          Ginge es nach den hessischen Behörden, würden Unterschriften nicht ausreichen. „Stattdessen müsste ein betroffener Gläubiger aktiv nachweisen, etwa durch Zeugnisse von Religionslehrern, dass er zwingend auf Fleisch von unbetäubt geschlachteten Tieren angewiesen ist“, sagt Kluge. Ein im Jahr 2010 vom Bundesrat auf Initiative Hessens verabschiedeter Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass nur dann eine Genehmigung erteilt wird, wenn der Antragsteller belegen kann, dass das Tier keine zusätzlichen Schmerzen spürt.

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