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Maler Guido Reni im Städel : Beleuchter göttlicher Schauspiele

„Ich, Guido Reni“ steht mehrfach neben Männerbeinen

Im selben Jahr wie die „Himmelfahrt“ entsteht eine Serie von Radierungen, darunter „Belaubter Bogen mit Einzugsmarsch“, die wie nahezu der gesamte be­kann­te Rest von Renis detailreicher Druckgrafik im Frankfurter Kupferstichkabinett liegt und zu Recht gleichrangig gezeigt wird. Auch hier ist es kein hohles Pathos, das er dem Triumphbogen mitgibt; vielmehr überzieht er die ephemere Architektur vollständig mit einer surreal wirkenden Blätterhaut, bekrönt sie zusätzlich mit drei Bäumchen im Keramiktopf und macht die in Bologna – Teil des Kirchenstaats! – einziehenden Anhänger von Papst Clemens VIII. im Vergleich zum monumentalen Bogen zu Ameisen.

Überhaupt agiert er mit Körpern in allen Größen und Verrenkungen sehr freizügig; ein um 1600 entstandenes Skizzenblatt mit „Diversen Figurenstudien und Signaturproben“, vor allem herabbaumelnden Männerbeinen, kann zwar keinem konkreten Werk zugeordnet werden. Es ist aber ein Exerzitium der Fingerfertigkeit, tastend fein und das Gegenteil so mancher böser Deutung, die aus dem auf dem Blatt mehrfach wiederholten Namenszug „Io Guido Reni“ egomanische Hybris herauslas – Reni war Beinahe-Analphabet und übte hier neben dem nötigen Barockbeinschwung auch das flüssige Signieren.

Er war der früheste Caravaggist

Göttlich ist Reni aber nicht, weil er göttlich-christliche Themen verewigt, das träfe auf die meisten Barockmaler zu. Seine ureigene Qualität ist das Licht als Bedeutungsträger und erzählerisches Element in jedem seiner Bilder. Renis gesamtes Lebenswerk lässt sich am jeweils unterschiedlichen Einsatz des Lichts in drei Phasen unterteilen: Anfangs stark von der unterkühlten Lichtregie des Manieristen Parmigianino beeinflusst, mit einem grellgelb-blauen Mantel Sankt Katharinas über einem Untergewand in Rosa in ihrem „Martyrium“ von 1606 , bei dem der Henker Rot und Ocker trägt und ähnliche Retina-Kitzeleien, entscheidet er sich, nach Rom umgezogen, früh für Caravaggios Hell-Dunkel-Gefühlsbäder. Ab 1506, mithin ein Jahrzehnt vor den heute bekannten An­hän­gern des Malers, wird Reni Caravaggist. Seinen „Christus an der Geißelsäule“ setzt er 1604 vor einen nachtschwarzen, alle Schmerzensschreie schluckenden Hintergrund; der einzige Hinweis auf die absenten Geißel-Schergen ist der glutrote Schein von deren Fackeln in Christi dunklem Haar – effektvoller hätte auch Caravaggio das nicht zu inszenieren vermocht.

Zusätzlich verdunkelt Reni noch die eigentlich weiß gesprenkelte Martersäule aus Santa Prassede, die anhand ihrer garnspulenartigen Form sofort zu identifizieren ist und die er sehr gut kannte – er wohnte mit zwei Künstlerfreunden in einer WG gleich neben dieser römischen Kirche, die für sich beanspruchte, die Reliquie der originalen Geißelsäule zu besitzen. Zwei Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs zeigt er hingegen in schweflig gelber Gewitteratmosphäre einen sadistischen, darin sehr menschlichen Gott, wenn Apoll in unschuldig weißem Teint dem derb rothäutigen Marsias die Haut abzieht und mit der Schindung in der Achselhöhle beginnt.

Unvollendete Bilder und furios freie, die nur so wirken

Nach diesen caravaggesken Lichtinszenierungen hellt sich die Palette wieder auf. Ein besonderes goldenes Licht strahlt nun aus allen Poren der Figuren und Stoffe, nicht nur der Heiligen. „Bacchus und Ariadne“ vor einer Tourismus-Adria mit weißen Segelbooten leuchten trotz Ehezwist um die Wette. Und der späte Johannes der Täufer von 1636, sechs Jahre vor Renis Tod gemalt, vereint noch einmal beide „Licht-Phasen“ des Malers und weist weit voraus in die Zukunft: Der jugendschöne Körper des in die Ferne auf den Kommenden zeigenden Propheten badet in warmem Licht, doch über Johannes dräuen die dunklen Gewitterwolken seines Schicksals. Sein Kamelhaarmantel wiederum ist mit nur wenigen Pinselstrichen als freies „Abozzo“ hingeworfen.

Seine Kunst hielt Reni eigenen Aussagen zufolge nie für göttliche Geniegabe, vielmehr für harte Arbeit, aufwendigst vorbereitet in mindestens zweitausend Vorzeichnungen, die man im Nachlass fand: Von ihnen sind die Kopfstudien ei­nes „Alten Bärtigen“ und einer „Alten Frau“ trotz nur weniger Rötelstriche und Weißhöhungen in den Wangen so lebensnah atmend, dass man beinahe erschrickt. Er wusste jedoch um sein Nachleben und wollte es unbedingt: Manchmal malt er auf so beständiger wie teurer Seide statt Leinwand, die qualitätvollen Farben sind ungewöhnlich sorgfältig angerieben; alles in seiner Malerei zielt auf die lange Dauer des Ruhms. Die Frankfurter Schau zeigt mit dreizehn famosen Neuzuschreibungen und den wiederzuentdeckenden Klassikern, dass Guido Reni auch dem 21. Jahrhundert viel geben kann.

Guido Reni. Der Göttliche. Städel, Frankfurt, bis 5. März 2023. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

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