Staatstrojaner : Eine neue Dimension der Privatheit
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Gerhart Baum warnt: Der Eingriff in die Menschenwürde wird zur Regel. Bild: Fricke, Helmut
Computer sind der Inbegriff der Privatsphäre. Um sie zu schützen, reicht es nicht mehr, auf Fachleute zu vertrauen. Wir brauchen eine neue Bürgerbewegung.
Es ist schon abenteuerlich, wie die Politik mit einem der wichtigsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts, dem Urteil zur Online-Durchsuchung vom 27. Februar 2008, umgeht. Das Gericht entwickelte darin aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein neues Grundrecht: auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, kurz IT-Grundrecht. In vierzehn Entscheidungen hat das Gericht in den letzten Jahren versucht, das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der inneren Sicherheit und dem Respekt vor den Persönlichkeitsrechten in ein neues Gleichgewicht zu bringen, nachdem die Politik der Sicherheit immer stärker den Vorrang gegeben hatte. Umgesetzt hat die Politik viele Vorgaben des Gerichts oft nur widerwillig oder gar nicht.
Die Entscheidung zur Online-Durchsuchung hatte noch eine weitere Dimension: Mit diesem Urteil ist das Gericht im Informationszeitalter angekommen. Der Erste Senat hat versucht, in einer wohl vorbereiteten, ganztätigen Anhörung der heutigen Technik auf die Spur zu kommen. Es ließ sich kein Recht sprechen, ohne die Technologie und deren Wirkungen im Allgemeinen und in diesem Einzelfall zu kennen. Von der Politik lässt sich ein ähnliches Engagement nicht behaupten. Sie hat die Entscheidung teilweise nur abgeschrieben, sich kaum mit den technischen Grundlagen auseinandergesetzt oder gar überlegt, welche Folgerungen aus dem neuen IT-Grundrecht für andere Rechtsbereiche zu ziehen sind.
Die Computertechnologie hat, wie der Berichterstatter des Senats, Wolfgang Hoffmann-Riem, es ausdrückte, „eine kommunikative Evolution bewirkt, die in ihrer Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts nicht nachsteht“. Den neuen Herausforderungen hat sich die Politik bisher nicht konzentriert gestellt. Das durch das wegweisende Volkszählungsurteil im Jahre 1983 geschaffene Recht auf informationelle Selbstbestimmung reicht heute bei weitem nicht mehr aus. Es wurde in der Online-Durchsuchungsentscheidung um eine Komponente erweitert, den Schutz der Integrität des informationstechnischen Systems.
Wir sind eben nicht mehr Herren über unsere Daten. Wir können inzwischen nicht mehr nachvollziehen, welche Daten informationstechnische Systeme erheben, wie sie funktionieren und wie wir Informationen über uns sichern oder löschen können. Wir müssen uns auf das unbeeinflusste Funktionieren und die Integrität des informationstechnischen Systems verlassen. Dabei geht es längst nicht nur um Computer oder Smartphones. Die Informatisierung des Alltags beginnt erst. Stichworte sind „Internet der Dinge“ und „ubiquitous computing“. Intelligente Steuerungsmechanismen in Häusern oder moderne Autos sammeln Informationen über uns, ohne dass wir diese Systeme beeinflussen oder zuverlässig schützen können.
Das Urteil sah die Gefahren durch Missbrauch voraus
Was bedeutet das für die Quellen-TKÜ, mit der fremde Computersoftware ausgespäht wird? Die Quellen-TKÜ dient der Überwachung von Kommunikation, also von E-Mails oder Skype, vor ihrer Versendung, indem eine Schadsoftware, der sogenannte Trojaner, auf diesen Rechner gespielt wird. Der Trojanerskandal hat die Öffentlichkeit aufgerüttelt, aber das Urteil des Verfassungsgerichts hat die Gefahren, die durch die jetzt bekanntgewordenen Missbräuche bestätigt wurden, in aller Klarheit schon im Jahre 2008 vorausgesehen.