Sprachvirus : Einmal
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Ein Wörtchen mutiert zu einem Virus der Umgangssprache: Es genügt nicht mehr, Dinge ein einziges Mal zu tun. Der inflationäre Gebrauch des „einmal“ greift zügellos um sich.
Es war einmal eine Zeit, in der nicht jeder immer „einmal“ sagte. Wenn man es doch einmal sagte, dann nur, um mitzuteilen, dass man eine Sache nicht drei-, nicht zwei-, sondern eben nur einmal bestellen wollte. Aus einer Meute Jugendlicher, die sich vor der Kinokasse drängeln, rief man heraus: „Einmal für Schüler bitte!“ und eben nicht für die ganze Clique.
Heute wird „einmal“ als gesprochenes Satzzeichen verwendet: „Könnten Sie einmal hier durchgehen!“, sagt die geschulte Fachkraft bei der Sicherheitskontrolle im Flughafen. Obwohl es sich fast so anhört, ist es keine Frage, sondern eine Aufforderung, fast ein Befehl. Mit dem Wörtchen „einmal“ will sie nicht der Befürchtung vorbeugen, man könnte anschließend gleich noch mal und dann den ganzen Tag und die halbe Nacht immer wieder wie unter einem irren Zwang durch die Metallschleuse gehen. Das kleine Wörtchen soll nur den Befehl aus dem Befehl nehmen: Wir verlangen ja nichts Unmögliches, wir wollen es bloß einmal.
Ein internationales Phänomen
So ist es auch mit Unterschriften. Ich unterschreibe eigentlich gar nichts mehr, ohne dass jemand zuvor gesagt hätte: „Würden Sie hier bitte einmal unterschreiben.“ Als wäre es mir zuzutrauen, unter irrem Gejohle wie ein durchgedrehter Schimpanse mit einer Faust voller Kugelschreiber das ganze Blatt, die Theke und das Gesicht meines Gegenübers mit meiner Unterschrift vollzukritzeln. Beim bargeldlosen Bezahlen kommt „einmal“ jedes Mal: „Bitte PIN und einmal bestätigen!“ Solche Viren der Sprache können ganze Nationen befallen. Will ein Franzose in verspottender Absicht einen Belgier nachmachen, hängt er an einen mit einem debilen Akzent vorgetragenen und logischerweise törichten Satz ein „une fois“ an. In Frankreich hält man Belgien also für ein vom Sprachvirus nicht einmalig, sondern nachhaltig verseuchtes Land.
Und doch ist das Wörtchen sehr bedeutend. Ohne diesen ablenkenden und beschränkenden Einschub, dieses flötende Übermaß an Höflichkeit hätten viele Sätze in unseren heutigen Ohren den autoritären Klang von früher, den wir aus Schwarzweißfilmen kennen: „Stehenbleiben! Papiere!“ Wir brauchen das Wörtchen heute wegen der Sache damals. Unsere Sprache soll nicht mehr so klingen. Ein winziges, aber mächtiges Andenken an das, was einmal war.