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Spähaffäre im Bundestag : Gysi fordert Nobelpreis für Snowden

  • -Aktualisiert am

„Ich schlage vor, Edward Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen“: Gregor Gysi Bild: dpa

In der Bundestagsdebatte zur Spähaffäre bekundet die Opposition ihren Unmut und die Regierungsbank ihren Willen zur Aufklärung. Deutlich wurde aber vor allem, dass man sich noch nicht einmal einig darüber ist, was genau das Problem ist.

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          Die größte Fraktion im neuen Bundestag leistete den kleinsten Beitrag in der Debatte zur Spähaffäre. Michael Grosse-Brömer von der CDU hatte eine einfache Botschaft: „Zur Debatte gehört nicht nur Aufregung, sondern auch Aufklärung.“ Diese Antwort auf die Vorredner war denkbar schwach. Hatte doch der Grüne Hans-Christian Ströbele Edward Snowden als Kronzeugen für Deutschland empfohlen und Gregor Gysi den im russischen Exil lebenden Whistleblower unumwunden für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

          Selbst der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellte einführend fest, dass „Nicht-Vorstellbares geschehen“ sei, er auch „keine Freude an dem transatlantischen Streit“ habe, aber kein Weg daran vorbeiführe, die Amerikaner dazu zu drängen, aufzuklären, aus welchem Anlass, wie lange, mit welchem Ziel und zu welchem konkreten Nutzen das Kanzlerinnen-Handy ausgespäht wurde. „Das Geschehene zu banalisieren, können und dürfen wir nicht akzeptieren.“

          Unter welchem Verdacht stand die Kanzlerin?

          Darauf, dass von dem Geschehenen nicht nur die Regierungschefin, sondern 80 Millionen Menschen betroffen seien, legte Gregor Gysi in seiner Rede Wert. Den in der amerikanischen Debatte bereits gängigen Begriff der Massenüberwachung verwendete er mehrfach in seiner Rede. Die Frage, unter welchem Verdacht die Kanzlerin stehe, stelle sich für jeden Bürger, sagte Gysi. Und auf der anderen Seite – wieso dürften andere Regierungen im Berliner Regierungsviertel spionieren, ohne dass darauf reagiert würde, geschweige denn etwas folge, fragte Gysi. Den Verdachtsmomenten widersprechen nicht einmal die Amerikaner, sagte Gysi. Auch Snowden habe noch nie gelogen.

          Kanzlerin Angela Merkel und Hans-Christian Ströbele waren sich in einem Punkt einig: Die Spähaffäre betrifft alle Deutschen
          Kanzlerin Angela Merkel und Hans-Christian Ströbele waren sich in einem Punkt einig: Die Spähaffäre betrifft alle Deutschen : Bild: AP

          Vielmehr passe dessen Enthüllungen zu dem, was man aus dem EU-Verfahren zum Echolon-Programm seit mehr als zehn Jahren wisse: Mehrere Geheimdienste betrieben „ein globales Abhörnetzwerk“, daran gebe es keine Zweifel. Die Regierungsmitglieder, die im Sommer die Spähaffäre für beendet erklärten, sollten sich bei der Bevölkerung entschuldigen, sagte Gysi. Die Regierung habe sich einer „schweren Eidverletzung“ schuldig gemacht, anstatt Schaden vom Volke abzuwenden.

          Friedrich: Es gibt keinen kontrollfreien Raum

          Mit der Betonung der transatlantischen Freundschaft hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich zuvor die Debatte eröffnet. Die Beziehung zu Amerika sei eng, freundschaftlich und partnerschaftlich. Die „angeblichen Dokumente“ seien allerdings „mehr als irritierend und beunruhigend“. Die Informationspolitik der Amerikaner lasse „leider zu wünschen übrig“, sagte er. Es gebe allerdings keinen kontrollfreien Raum der Nachrichtendienste, auch wenn es anders erscheine, weil „das Schweigen unserer amerikanischen Freunde leider zu Verschwörungstheorien“ darüber führe.

          Sollte ein Anfangsverdacht begründet werden können, „sind unsere Ermittlungsbehörden dran“, sagte Friedrich. Ob die Spähaffäre überhaupt ein politisches Thema sei, bezweifelte er. An der öffentlichen Diskussion könne man erkennen, „dass Demokratien viele Wege haben für Selbstreinigungskräfte“. Dringend sei nun eine engere Zusammenarbeit mit den Internetunternehmen, „wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselung“, sagte Friedrich.

          Steinmeier: technische Abschottung ist keine Lösung

          Dem widersprach im Anschluss Frank Walter Steinmeier. Weder seien individuelle Lösungen hinreichend, noch sei es erstrebenswert, nun in nationalem oder europäischem Rahmen eine „technische Abschottung“ zu forcieren. Die „Zügellosigkeit der Datenfischerei“ sei eher Grund für ein „Völkerrecht im Netz“, sagte Steinmeier. Solch eine Diskussion könne man jedoch nicht führen, solange „Spionage unter Freunden mit einem Schulterzucken“ beantwortet würde, sagte Steinmeier. Aus den moralischen Leitplanken, die die öffentliche Diskussion prägten, sei geltendes Recht zu machen, forderte Steinmeier.

          „Länger als jemals an dieser Stelle“ kam Hans-Christian Ströbele zu Wort. Der einzige Parlamentarier, der bislang mit Edward Snowden gesprochen hat, richtete sich zu Beginn an die Kanzlerin: „Haben Sie einmal darüber nachgedacht, sich bei Edward Snowden zu bedanken?“, fragte er Angela Merkel.  Es sei, sagte Ströbele, Snowdens Verdienst, dass ihr Telefon heute nicht mehr abgehört werde. Merkel reagierte darauf nicht. Als Ströbele ein „No Spy“-Abkommen forderte, „bei dem es um alle Deutschen geht“, nickte sie ihm allerdings zu. Das bisherige „devote“ Verhalten der zuständigen Minister sei „unwürdig“ und der falsche Weg dorthin, sagte Ströbele.

          In der Debatte bezeichneten mehrere Redner die Spähaffäre als den größten Skandal, der ihnen unterkommen sei. Steinmeier folgte auf dieses Bild mit einer Neubewertung der Balance, die nun zu finden sei. Als größtes Risiko beschrieb Steinmeier den „Machthunger der Geheimdienste“, von denen viele Politiker nicht wüssten, was sie tatsächlich trieben. Das zu lösende Problem sei kein rein technisches, wodurch mehr oder bessere Technik ebenso wenig zu einer Lösung führe.

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