https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/sommerkino-im-ersten-gruener-wird-s-nicht-16857538.html

Sommerkino im Ersten : Wind unter den Flügeln spüren

  • -Aktualisiert am

Fliegen aufeinander: Schorsch (Elmar Wepper) und Hannah (Dagmar Manzel) Bild: ARD Degeto/Majestic Film

Sommerzeit ist Wohlfühlzeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, nur in diesem Jahr nicht: Der Film „Grüner wird’s nicht“ passt in eine Zeit, in der Abstand als Pflicht und die Entdeckung der Heimat als Kür erlebt wird.

          2 Min.

          Für die Nachbarn am Tegernsee ist der alte Grantler Schorsch Kempter (Elmar Wepper) ein Querulant und Hungerleider. Oder halt ein „oider Depp, ein depperter“. Den Golfplatzrasen des neuen Resorts hat der Gartenbauunternehmer zwar perfekt angelegt, aber die Bezahlung lässt auf sich warten. Das „Bohd ohf Trastiehs“, so der Bauherr Dr. Schwan (Bernd Stegemann), wird nicht zahlen, solange das Green nicht dasselbe viel grünere Grün hat wie das Vorbild in Las Vegas. Schorsch versteht nur Bahnhof. „A Schmarrn, geschissen“ – die Antwort passt für ihn zu allen Lebenslagen.

          In der gesichtslosen Neubausiedlung pflanzt er noch eine Hecke für eine grasgrüne Gesundheits-Smoothies schlürfende, „hellfühlige“ Achtsamkeitsbewegte aus Berlin, die auf dem Land Natürlichkeit sucht und später reklamieren wird, dass Rosen Dornen haben. Die Ehe mit seiner Frau Monika (Monika Baumgartner) hat schon bessere Tage gesehen. Seine Tochter Miriam (Karolina Horster) entwickelt einen befremdlichen Drang zur plastischen Kunst und will an der Akademie studieren. Von ihm hat sie das nicht und eigentlich auch sonst nichts. Dem Hilfsgärtner muss man beim Pflanzen erklären, dass der Teil mit den Blättern nach oben gehört. Als das Gericht pfändet und einen Kuckuck auf Schorschs museumsreifen Doppeldeckerflieger klebt, reicht es ihm. Sollen doch andere an der Scholle kleben bleiben und die Natur existenzbedrohend zurichten. Er macht jetzt nicht mehr mit.

          Einmal das Nordlicht sehen

          Schorsch fliegt davon. Etwas Besseres als der Tod findet sich überall, sagt die Weisheit. Aus Träumen wacht man auf, und dann ist das Grauen umso schlimmer, meint Schorsch. Trotzdem, einmal das Nordlicht sehen, so sein Plan. Bis er ohne Treibstoff fast abstürzt, auf der Suche nach einem Job in einem Schloss im Rheinland ein Zwischenspiel erlebt und mit Richard (Ulrich Tukur) und Evelyn (Sunnyi Melles) exzentrische Adelige trifft, deren merkwürdige Tochter Philomena (Emma Bading) er nicht mehr los wird. Nach einem Zwischenstopp bei ihrer Großmutter und deren Frau auf Sylt landet Schorsch in Brandenburg bei der Privatflughafenbetreiberin Hannah (Dagmar Manzel) – in mehr als einer Hinsicht. Noch einmal an den Tegernsee zurückgekehrt, schließt Schorsch seine Geschäfte ab. Und fliegt wieder davon, dieses Mal nicht flüchtend, sondern als Aufbruch in ein neues Leben. Wie Monika, die endlich ihren Blumenladen eröffnet. Ende der Metapher.

          Sommerzeit ist Wohlfühlzeit in den fiktionalen Programmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, aber nicht nur. Das „Sommerkino im Ersten“ zeigt in diesem Jahr Filme wie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ mit Frances McDormand und „Die Verlegerin“ mit Meryl Streep und Tom Hanks, setzt in den eigenen Koproduktionen aber vorwiegend auf „Dramödien“. Wenn nicht der „Leberkäsjunkie“ mit Sebastian Bezzel für Unterhaltung im Dialekt sorgt.

          „Grüner wird’s nicht“ mag zwar kein origineller Drehbuchwurf sein (Gernot Gricksch nach einem Roman Jockel Tschiersch), aber auch hier dürfen die meisten Dialekt oder zumindest eingefärbt sprechen, was den föderalen Charme dieses Gesamtdeutschland-Bilderbogens beträchtlich erhöht. Regisseur Florian Gallenberger setzt vor allem auf seine Darsteller – und auf die Cinemascope-Aufnahmen dieses Roadmovies aus der Vogelperspektive (Kamerafrau Daniela Knapp). Die junge Schauspielerin Emma Bading hat im vergangenen Jahr als in den Wahn abdriftende Computerspielsüchtige im Fernsehdrama „Play“ überzeugt und spielt hier wieder eine junge Frau mit, freilich bisweilen arg übertriebenen, Ecken und Kanten. Elmar Wepper ist mit Doris Dörries Filmen „Kirschblüten – Hanami“ und „Kirschblüten und Dämonen“, aber auch in „Zwei allein“ von Stephan Wagner (mit Johanna Bittenbinder und Gundi Ellert) ausgewiesen für Figuren, die an Sprachlosigkeit verzweifeln oder erkennen müssen, dass das alte Leben irgendwann nicht mehr passt wie ein alter Gartenstiefel. Hier gibt es als Bonusaufnahmen Gesamtdeutschland aus der Himmelsdistanz – als gehobene Unterhaltung passt „Grüner wird’s nicht“, obwohl schon 2017 gedreht, gut in den Sommer 2020, in dem Abstand als Pflicht und die Wiederentdeckung heimischer Reiseziele als Kür wahrgenommen wird.

          Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon, Montag um 20.15 Uhr im Ersten

          Weitere Themen

          Ganz ohne Blut und Beil

          „Elektra“ an Frankfurts Oper : Ganz ohne Blut und Beil

          Die Sängerin Aile Asszonyi zeigt an der Oper Frankfurt, dass „Elektra“ von Richard Strauss ein liebesfähiger Mensch sein könnte. Sie beglaubigt damit die Regie von Claus Guth.

          Topmeldungen

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.