Sexuelle Gewalt auf dem Campus : Amerikas neue Jagdgründe
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Tatort Campus? Der Film „The Hunting Ground“ behauptet, dass jede fünfte Studentin Opfer sexueller Gewalt wird. Bild: AP
Ein Dokumentarfilm über Campus-Vergewaltigungen beeindruckt die politische Klasse Amerikas. Dass „The Hunting Ground“ es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, scheint niemanden zu stören.
Ist es wahr, dass an den amerikanischen Universitäten eine „Epidemie“ der sexuellen Gewalt grassiert? Das behauptet der Dokumentarfilm „The Hunting Ground“, der im Februar auf dem Sundance Festival uraufgeführt wurde, in Anwesenheit der demokratischen Senatorinnen Barbara Boxer und Kirsten Gillibrand. Tausend Colleges haben den Film für Vorführungen auf dem Campus angefordert, Präsident Obama möchte ihn sich im Weißen Haus zeigen lassen. Die Fernsehausstrahlung im Nachrichtensender CNN wird auf den Kinoeinsatz folgen.
Der Regisseur Kirby Dick und die Produzentin Amy Ziering haben schon bei dem Film „The Invisible War“ zusammengearbeitet, der für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten dasselbe Thema aufrollte: sexuelle Übergriffe im geschützten Raum einer öffentlichen Institution. Dieses Vorgängerwerk, 2013 für einen Oscar nominiert, hatte nicht nur bei der Kritik, sondern auch in der Politik Erfolg. Dick und Ziering lieferten Argumente für eine Reform der Militärgerichtsbarkeit, die der Kongress in Teilen umgesetzt hat. Mit einem Gesetz, das im Senat noch nicht die erforderlichen sechzig Stimmen bekommen hat, möchte Senatorin Gillibrand den Befehlshabern die Verfahrensherrschaft bei Vergewaltigungsprozessen nehmen. Dass ein Schuldspruch der Bestätigung durch den militärischen Vorgesetzten bedarf, lässt nach Ansicht von Opferanwälten Soldatinnen davor zurückschrecken, aus der Reihe herauszutreten und Kameraden zu beschuldigen. Auch die Studentinnen, deren Berichte dem neuen Film die Einheit eines eindringlichen Plädoyers geben, schildern informelle Repressalien, das ungute Zusammenwirken einer mit Disziplinargewalt ausgerüsteten Bürokratie mit einem Comment, der das Stillhalten prämiert.
An strukturellen Ursachen ist der Film nicht interessiert
Diesmal machen Dick und Ziering allerdings keine Vorschläge für Verfahrensänderungen. Die politische Botschaft des Films erschöpft sich in der Aufforderung zur Empörung. Hochschulinterne Untersuchungen, die parallel zu den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft laufen, stellt der Film als perverse Veranstaltungen zur Einschüchterung der Opfer hin: Wegschauprozesse. Aber unmöglich könnte er die Abschaffung dieser Disziplinarverfahren fordern, denn kein ordentliches Gericht kann eine Sanktion wie den Verweis von der Universität verhängen.
Der Druck der Regierung in Washington, die den Colleges mit dem Entzug der Bundesmittel droht, zielt nicht etwa auf eine Entmachtung, sondern auf eine Stärkung der internen Quasi-Justiz. Der Film erwähnt zwar, dass Studentinnen der University of North Carolina die Obama-Regierung zum Handeln bewogen haben, sagt aber nicht, welche Maßnahmen ergriffen worden sind. Verordnet wurde eine Verschiebung der Beweislast. Im Strafprozess muss der Schuldnachweis über jeden vernünftigen Zweifel erhaben sein. Wenn eine Universität einen Studenten zum Sexualverbrecher deklariert, soll dafür wie im Zivilprozess die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen, ein minimaler Glaubwürdigkeitsvorsprung des mutmaßlichen Opfers.