Operndorf in Afrika : Schlingensiefs Traum
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Keine Oper, aber kreativer Unterricht: Schulkinder in der Schlingensief-Schule Bild: dpa
Kurz vor seinem Tod gründete Christoph Schlingensief ein Operndorf in Afrika. Was wurde daraus? Kein Bayreuth in Burkina Faso, sondern eine Schule, die Kinder nicht nur an Bildung wachsen lässt.
Ein etwa vier Meter hoher Pfahl - eine Art Maibaum - steht in der Mitte des Dorfes. Strahlenförmig gehen Seile von ihm aus, an denen allerlei Alltagsgegenstände befestigt sind: Töpfe, Dosen, Schuhe, Seife, Stoff. Verankert sind die Seile im trockenen Savannenboden. Ein paar Ziegen grasen in der Mittagshitze unter ihnen. Noch finden sie auf Burkina Fasos roter Erde ein paar frische Flecken Gras. Die Regenzeit ist vorbei; in Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika hat das neue Schuljahr begonnen.
Als sein Traumland beschrieb der Theaterregisseur Schlingensief das Hochplateau, das sich knapp vierzig Kilometer westlich der Hauptstadt Ouagadougou erstreckt. Eine gut ausgebaute Landstraße führt von ihr durch die von Granitgestein geformte Ebene Richtung Operndorf. Straßenkontrollen erschweren seit dem Militärputsch im September das Vorankommen von einem kleinen Weiler zum nächsten. Schlingensief kam 2009 hierher. Mit der Idee, an diesem Ort seine eigene Oper zu gründen. Eine Oper für Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt? Sollten etwa Opernliebhaber aus aller Welt in das kleine westafrikanische Land pilgern? Das hatte Schlingensief nicht im Sinn. „Oper“ sollte an diesem Ort etwas ganz anderes bedeuten als etwa in Bayreuth.
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Die burkinische Regierung überließ Schlingensief ein Stück Land und sagte ihm und seinem Team ihre Zusammenarbeit zu. Doch wenige Monate nach der Grundsteinlegung erlag der Regisseur 2010 seiner Krebserkrankung. Es ging trotzdem weiter in Burkina Faso. Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz übernahm die Leitung des Projekts. Finanziert wird das Operndorf vor allem durch Spenden, dazu kommen öffentliche Mittel. Im Herbst 2012 konnten die ersten Kinder in die Operndorf-Schule aufgenommen werden.
Von dem Wasserturm, der auf dem kleinen Hügel am Rand des Operndorfs thront, hat man den besten Überblick. Genau an der Stelle, an der einmal das Festspielhaus errichtet werden soll, steht die aus Seilen gespannte Konstruktion. Schlingensiefs ursprüngliche Idee sah vor, das Dorf schneckenförmig vom Festspielhaus aus wachsen zu lassen. Jetzt entsteht erst das Dorf drumherum. Die Schule, die Mensa, die Krankenstation und einige Büro- und Wohngebäude stehen schon: flache Bauten mit leicht geneigten Dächern. Gästehäuser, weitere Wohnmodule und ein Restaurant sind in Planung.
Die Seilskulptur im noch leeren Zentrum hat ein Kunstlehrer mit den Kindern gebaut. Sie erinnert an Schlingensiefs Animatographen: die Drehbühne, die so wichtig war für seine Bayreuther Parsifal-Inszenierung. Während seiner Arbeit für die Wagner-Festspiele 2004 beschloss der Regisseur, die Oper zu demokratisieren und zu ihren Ursprüngen zurückzuführen, die im Ritual liegen. Teil dieser Idee war es, mit seiner rotierenden Bühne an Orte zu reisen, an denen normalerweise keine Opern aufgeführt werden, und sie von den Menschen vor Ort bespielen zu lassen. Vielleicht ist der Animatograph nun in Burkina Faso angekommen.