Schau zu Industriekultur : Klein gedacht hat Sachsen groß gemacht
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Die sächsische Dampfmaschine für die Weltausstellung 1893 Bild: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Museum für Sächsische Volkskunst, Foto: Andreas Gosch
Zentrum des deutschen Gewerbefleißes und eine Wiege der künstlerischen Avantgarde: Die Sächsische Landesausstellung zeigt, wie die Herausforderungen des Bergbaus ein Volk der Tüftler und Unternehmer hervorbrachte.
Sächsisches Ingenium denkt gerne kleinteilig, wenn es groß herauskommen will. Inbegriff dafür ist seit Jahrhunderten der berühmte Kirschkern im Dresdner Grünen Gewölbe, in den geduldige Hände zu Renaissance-Zeiten 185 Köpfe eingeschnitzt haben – ob in Sachsen selbst, ist leider unbekannt. Der dortigen Begeisterung fürs Miniaturformat tut das aber keinen Abbruch, und man kann sich vorstellen, mit welcher Freude sächsische Tüftler im Jahr 1893 für die damalige Weltausstellung in Chicago eine Dampfmaschine konstruiert haben, die so klein geriet, dass sie in eine Walnussschale eingebaut werden konnte. „In a nutshell“, wie man auf Englisch zu sagen pflegt, also exemplarisch, wurde hier das Können sächsischer Ingenieurskunst demonstriert. Und sächsischer Witz, denn welches Völkchen nähme sonst zur Selbstdarstellung auf einer Weltausstellung eine idiomatische Wendung einfach wörtlich?
Das damals längst berühmte technische Geschick der Sachsen beruhte auf den Herausforderungen, die der ihren Landesherren vorbehaltene Bergbau im (erst später danach benannten) Erzgebirge seit dem fünfzehnten Jahrhundert an den regionalen Einfallsreichtum gestellt hatte. Das Land wurde darüber zu einer Wiege von Technik und Mechanisierung. Als in der DDR kurz vor deren Zusammenbruch noch ein Mikrochip entwickelt wurde, geschah das natürlich in Sachsen. (Nur böse Zungen verspotteten das Ergebnis 1988 anlässlich der Übergabe des Prototyps an Erich Honecker als „größten Mikrochip der Welt“.) In schönstem Ultramarin-Glas eingebettet, einer Art Schneewittchensarg sozialistischer Fortschrittsträume, ist dieser Chip heute – wie auch die winzige Walnuss-Dampfmaschine – Teil der gerade mit mehrmonatiger Verzögerung endlich doch noch eröffneten Sächsischen Landesausstellung. Ihr Titel lautet recht martialisch: „Boom“.
Wobei damit in erster Linie nicht die lautmalerische Umschreibung eines lauten Knalls gemeint ist, sondern die hierzulande gängige Bedeutung des Worts als Beschreibung einer ökonomischen Hochkonjunktur. Sachsen können aber alles, nicht nur Hochdeutsch, auch Englisch (siehe: in a nutshell), und deshalb widmet sich die Ausstellung zur Darstellung von fünfhundert Jahren sächsischer Industriekultur neben Höhenflügen auch den dafür notwendigen Auf- und Abschwüngen. Siebenjähriger Krieg, Inflationszeit, Nationalsozialismus, Planwirtschaft und Treuhand bedeuteten jeweils harte Rückschläge für die Industrie in Sachsen. Und da sind sonstige Krisen durch den zunächst nationalen und dann internationalen Wettbewerbsdruck noch gar nicht genannt.
Eine Ausstellung zu einem derart reichhaltigen Komplex, selbst wenn es dabei nur um einen deutschen Teilstaat geht, kann gar nicht groß genug gedacht sein. Und so hat man in der Industriestadt Zwickau nicht nur eine legendäre Werkhalle für die zentrale Präsentation ausgesucht – jene 1938 auf dem Werksgelände der Auto-Union errichtete Audi-Halle, in der später zu DDR-Zeiten vom VEB Sachsenring der Trabant zusammengebaut wurde –, sondern gleich noch sechs weitere Satellitenschauplätze in die Landesausstellung integriert: bereits existierende Ausstellungsorte zur sächsischen Industriegeschichte, die dazu jedoch nicht eigens neue Konzeptionen entwickeln mussten. So kann man Schaubergwerke und historische Fabriken besuchen oder über das gewaltige Gelände des Chemnitzer Ausbesserungswerks der Deutschen Reichsbahn streifen – auf Zeitreisen in die Vergangenheit, die gerade nach Besuch der Hauptausstellung das dort gewonnene Verständnis für die Mühen der Industrialisierung vertiefen. Aber dafür muss man sich dann auch durch halb Sachsen mühen.