Was es noch zu erwähnen gilt
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Ihr Tod löst ein politisches Erdbeben aus: Amerikaner trauern vor dem Supreme Court um Ruth Bader Ginsburg Bild: EPA
Prägnanz, Zorn, Wunschenergie: Zum Tod von Ruth Bader Ginsburg, die im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit die Rolle ihres Lebens fand
Harper Lee hat ihrem Roman „Wer die Nachtigall stört“, der Geschichte des heroischen Rechtsanwalts Atticus Finch, als Motto ein Zitat des englischen Essayisten Charles Lamb vorangestellt: „Juristen, nehme ich an, waren einmal Kinder.“ Als Ruth Bader Ginsburg, die am Freitag im Alter von 87 Jahren verstorbene Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, ein Kind in Brooklyn war, konnte sie sich nicht vorstellen, Juristin zu werden. Ihre Eltern arbeiteten, wie viele jüdische Einwanderer, im Textilhandel, besaßen einen Hutladen und verkauften Pelze. Es gab damals im ganzen großen Land keine Frau in Richterrobe, die nachzuahmen ein Mädchen sich hätte vornehmen können. Also nannte die elfjährige Ruth, nachdem sie an einer Schulaufführung der Oper „La Gioconda“ mitgewirkt hatte, einen anderen Berufswunsch: „Diva“.

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.
Die Verwirklichung dieses Wunsches war ihr nicht vergönnt. Wohl stieg sie als Juristin in allerhöchste Höhen auf: Als zweite Frau nach Sandra Day O’Connor nahm sie einen Platz im Supreme Court ein. Bob Woodward, der legendäre Reporter mit dem Talent zum Herauskitzeln vertraulicher Geständnisse, hatte sein Enthüllungsbuch aus dem Marmortempel hinter dem Kapitol 1979 noch „The Brethren“ (Die Brüder) nennen können. Schwestern waren nicht mitgemeint. 1981 wurde O’Connor ernannt, 1993 Ginsburg. Diese hat gelegentlich davon erzählt, wie einsam sie sich im Gericht in den drei Jahren zwischen O’Connors Rücktritt 2006 und der Ernennung von Sonia Sotomayor fühlte. O’Connors Abschied war übrigens eine, statistisch gesehen, typisch weibliche Entscheidung gewesen. Sie nahm sich die Zeit, ihren an Demenz erkrankten Ehemann zu pflegen. Ruth Bader Ginsburgs Ehemann Martin Ginsburg, den sie während des Studiums an der Cornell-Universität kennengelernt hatte, ist 2010 verstorben. Über ihn erzählte sie: „Er war der erste Junge, der ein Interesse dafür zeigte, dass ich ein Gehirn hatte.“ 1980, als Präsident Carter die Professorin der Columbia-Universität – die erste Frau mit Lebenszeitstellung an der Law School – zur Richterin am Berufungsgericht für den Hauptstadtbezirk ernannte, gab Martin Ginsburg seine lukrative Kanzlei als Fachanwalt für Steuerrecht auf, um mit seiner Frau nach Washington zu ziehen.
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