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Versunkene Stadt Rungholt : Als der Pfarrer um Vernichtung bat

Pionier der der Rungholt-Suche: Andreas Busch im Rungholt-Watt Bild: Picture Alliance

Rungholt ist eine Legende. Die reiche Stadt soll im Mittelalter in der Nordsee untergegangen sein. Nun wollen Forscher sie gefunden haben. Zu Recht?

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          Nichts hält so zuverlässig der langweiligen Realität stand wie eine gute Geschichte. Dass sich Heinrich Schliemann derart hartnäckig in einen türkischen Hügel verbiss und dort den „Schatz des Priamos“ entdeckte, ist wesentlich der Literatur geschuldet, und die Faszination, mit der wir Heutigen uns Schliemanns Entdeckungen zuwenden, wurzelt in der Präsenz, die Homers Geschichten um den Trojanischen Krieg in unserer Kultur nach wie vor behauptet.

          Spielt es da eine Rolle, dass der von Schliemann geborgene Goldschatz etwa tausend Jahre älter ist als die Eroberung Trojas, für die es ebenso wenig Beweise gibt wie für die Existenz der uns so präsenten Helden Achilleus oder Odysseus?

          Wir werden nicht müde, immer neuen Theorien zu lauschen, wo denn nun die Insel Atlantis zu lokalisieren sei oder die reiche Handelsstadt Vineta in der Ostsee oder ihr Nordsee-Pendant Rungholt.

          Diese Stadt – auch sie der Sage zufolge märchenhaft reich, auch sie durch die Frevel ihrer Bewohner verdient untergegangen, als ein geschmähter Priester in Rungholts Kirche Gott um Rache anflehte – versank in der „Groten Mandränke“, einer 1362 wütenden Sturmflut, und mit ihr ein Teil der Landschaft, in der sie lag, die Edomsharde.

          Rungholts Nachruhm ist eng an die Literatur geknüpft, an Karl Müllenhoffs 1845 publizierte Sage und Detlev von Liliencrons Gedicht „Trutz, Blanke Hans“, und als dann auch noch vor hundert Jahren der Bauer Andreas Busch nahe der Hallig Südfall Siedlungsspuren fand, nahm die Suche nach Rungholt weiter an Fahrt auf.

          Zweifelsfrei gefunden

          Nun haben Forscher im Wattenmeer bei Südfall eine Reihe von Warften entdeckt – oder Spuren davon, denn natürlich hatte die Nordsee ein paar Jahrhunderte Zeit für ihr tägliches Zerstörungswerk. Dabei seien auch Strukturen nachgewiesen worden, die „zweifelsfrei“ auf eine vierzig mal fünfzehn Meter große Kirche hindeuteten, und damit sei, so heißt es in einer Pressemitteilung des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein, des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Rungholts Kirche lokalisiert.

          Lokalisiert? Dass Rungholt nur einer von sehr vielen untergegangenen Orten jener Gegend ist, dass niemand weiß, welche Rolle gerade diese Siedlung für die Region eingenommen hat, ob Rungholt so zwingend bedeutsam war, dass man ihm eine große Kirche „zweifelsfrei“ zuordnen kann, dass ferner die topographische Genauigkeit der Karten, die lange nach Rungholts Untergang von der versunkenen Küstenlandschaft angefertigt wurden, zu Recht angezweifelt wird, sodass auch dieser Ort an recht unterschiedlichen Stellen im Watt gesucht und gefunden wurde – spielt das eine Rolle?

          Nein, muss ja nicht. Etwas ist entdeckt worden. Wäre doch schade, wenn es nicht die Kirche von Rungholt wäre – der Tatort, an dem der düpierte Pfarrer einst den Untergang über seine Stadt herbeigebetet hat.

          Tilman Spreckelsen
          Redakteur im Feuilleton.

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