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Rudolf Borchardts Gartenbuch : Die ganze Welt, in einen Zaun gefangen

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Ein Ort der persönlichen Freiheit: Berlin, Sommergarten am Funkturm, um 1930 Bild: Picture-Alliance

Kann der Garten Ort der persönlichen Freiheit sein? Damit beschäftigt sich Rudolf Borchardts „Der leidenschaftliche Gärtner“, das vor siebzig Jahren erschien.

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          Am 30. August 1942 hatte das Afrikakorps bei El Alamein seine letzte Offensive auf ägyptischem Boden gestartet. Am 6. September war der deutsche Befehlshaber Erwin Rommel gescheitert. Im fernen Stalingrad begann sieben Tage später die sechste Armee ihren Sturm auf den Stadtkern. In diesen beiden blutigen Wochen des Zweiten Weltkrieges erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ drei Artikel zum Thema „Der Mensch und die Blume“. Verfasser war der deutsche Schriftsteller Rudolf Borchardt, geboren am 9. Juni 1877 in Königsberg, der damals in der Toskana lebte – als Mieter einer stattlichen Villa mit großem Park – und der schon längst zur Erkenntnis gelangt war, dass sich die Welt nicht an Gedichten regenerieren könne. Aber konnte sie es an Blumen und Gärten?

          Nach dem 30. Januar 1933 hatte Borchardt alle Hoffnung fahren lassen, in Deutschland wirken zu können. Für die Nationalsozialisten war der konservative Dichter ein jüdischer Schreiberling. Borchardt zog sich immer mehr zurück und kultivierte seine lebenslange Passion: den Garten, der ihm nicht nur das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung war, sondern eine neue Form der Poesie, in der die Blumen die Worte ersetzten. Denn „die Blume zielt auf den Menschen. Darum blüht nur dem Menschen die Blume. Und darum ist nur das Kompendium des Menschen, der Dichter, der vollkommene Gärtner“.

          Mehr als Luxus oder Spielerei

          Gegen das totalitäre System in der Heimat, das die Welt mit Verfolgung und Krieg überzog, setzte Borchardt die Heterotopie des Gartens, der ihm zu einem beglückenden Gegenort wurde, in dem der Gärtner – wie der Dichter, nur mit anderen Mitteln – den Unterschied zur eigenen Zeit intensiv erlebte: „Wenn das Buch das Geistermittel ist, kraft dessen es menschlicher Freiheit vergönnt ist zu leben in welcher Zeit sie will und wählt, die Blume entfesselt die Freiheit der menschlichen Phantasie von den gleichen Gefängnissen des Raumes.“

          Der Schriftsteller (u.a."Der Durant") in einer zeitgenössischen Darstellung. Rudolf Borchardt wurde am 9. Juni 1877 in Königsberg geboren und ist am 10. Januar 1945 in Trins bei Steinach gestorben.
          Der Schriftsteller (u.a."Der Durant") in einer zeitgenössischen Darstellung. Rudolf Borchardt wurde am 9. Juni 1877 in Königsberg geboren und ist am 10. Januar 1945 in Trins bei Steinach gestorben. : Bild: Picture-Alliance/dpa-Bildarchiv

          Die Arbeit an seinem Gartenbuch, unterstützt von einem Zürcher Mäzen, sicherte Borchardt die Existenz. Damit war der Garten mehr als nur ein Luxus oder eine Spielerei. Der Autor hoffte zudem auf den Erfolg der geplanten englischen Übersetzung im Heimatland der Gartenliteratur. Doch nur die drei Schweizer Zeitungsbeiträge wurden veröffentlicht. Borchardt starb am 10. Januar 1945. „Der leidenschaftliche Gärtner“ erschien erst postum im Jahr 1951.

          Was hat man nicht alles in dieses Buch hineingelesen, in dem Borchardt die vom Menschen gezüchteten Kulturpflanzen preist, für klare Strukturen im Garten plädiert, sich für edle Sorten begeistert und die Vielfalt der Wildblumen verschmäht. Doch die Aussage: „Der Garten will den Gärtner“ taugt nun wahrlich nicht, um aus Borchardt einen Sozialdarwinisten zu machen. Wie das Gedicht so ist auch die Blume ein Menschenwerk. Der Garten wird dadurch zu einer realen Anthologie, die ihre schöpferische Kraft aber nur entfalten kann, wenn sie „das uralte Traumbild und Wunschbild der Menschheit, das von einem Garten zu einem Garten, von Eden bis Gethsemane“ spiegelt.

          Ein solcher Garten ist grundsätzlich offen für Neues, er ist eine „gewaltige Demokratie“. Hier kommen Pflanzen und Samen aus aller Herren Länder gleichberechtigt zusammen, repräsentieren „die ganze Welt, in einen Zaun gefangen“. Gegen alte und neue völkisch Bewegte singt Borchardt das Hohe Lied auf den gestalteten Garten, in dem es nicht wild und ungeordnet zugeht.

          Vulgäre Massenware

          Denn hier überwindet menschliches Handeln und Wollen die biologische Vorbestimmung. Blumen, die an ihrem Ursprungsort ein anderes Klima gewohnt sind, werden geduldig an die neue Umgebung angepasst. Dieser „hortus conclusus“ ist allerdings nicht pflegeleicht und erst recht nicht im Gartencenter zu finden. Die billige Massenware ist vulgär, das „ready made“ der „Todfeind und die Negation der Liebhaberei“. Daraus entsteht nur „ein übertünchtes Grab“. Der Kommerz funktionalisiert die Blume rücksichtslos, während Borchardt ihre Individualität bejubelt.

          Der anspruchsvollen Gartenpoetologie ist zugleich ein umfangreicher „Katalog der Verkannten, Neuen, Verlorenen, Seltenen, Eigenen“ beigegeben, der das profunde botanische Wissen des leidenschaftlichen Gärtners Borchardt dokumentiert und in dem Theorie und Praxis auf wunderbare Weise zusammenfinden.

          Die auf jahrelangen Erfahrungen beruhende Zusammenstellung bestätigt die Grundaussage des Buches: Auch an Blumen und Gärten kann sich die Welt nicht regenerieren. Aber der kunstvoll gestaltete Garten ist auch in widrigen Zeitläufen ein Ort der persönlichen Freiheit. Die nie endende Aufgabe des Gärtners besteht darin, Ordnung in die Natur zu bringen. Genau deshalb bedarf der Garten seiner „ständigen Liebe und Pflege“.

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