
Habecks neues Buch : Politisches Paradox
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Der Grünen-Vorsitzende und Schriftsteller Robert Habeck erklärt in seinem Buch, warum Widersprüche zur Politik gehören. Es ist am Ende auch eine Problembeschreibung seiner eigenen Partei.
„Von hier an anders“ heißt das gerade erschienene Buch des Schriftstellers und Politikers Robert Habeck, der seit 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen ist und mit dieser und mit seiner Partei noch ausmachen muss, wer von den beiden bei der Bundestagswahl im Herbst als Kanzlerkandidat oder Kanzlerkandidatin antreten wird. Und tatsächlich ist das Buch selbst schon mal anders und will auch anders sein: Wo die meisten Politiker in ihren Büchern kurz vor der Wahl gerne für sich in Anspruch nehmen, „Klartext“ zu reden, und die Gelegenheit ergreifen, sich noch mal deutlich vom politischen Gegner abzugrenzen, geht es Habeck um „Widersprüche“. Wie findet eine Gesellschaft unter den Bedingungen von Freiheit und Demokratie zu einer Gemeinsamkeit, die es ihr ermöglicht, die notwendigen Schritte zu gehen?, fragt er. Welches sind die Kräfte und Dynamiken, die Lösungen und gemeinsamen Fortschritt blockieren? Und er stellt fest, dass er jetzt „natürlich leicht auf politische Feindbilder ausweichen“, also auf einzelne Politiker und Politikerinnen zeigen könne, „die ich irgendwie doof finde. Aber so einfach will ich es mir nicht machen.“
Er glaube, schreibt Habeck, dass es statt persönlicher Defizite einen strukturellen Grund gebe, der gerade den Erfolg von lernender Demokratie und politischem Fortschritt zur größten Gefahr mache: „der Widerspruch der Moderne, dass der Fortschritt der einen fast immer einen Rückschritt für andere bedeutet, dass Aufstieg auch Abstieg hervorbringt, das Leistungsprinzip neben Gewinnern zwangsläufig auch Verlierer“. Diesen Widerspruch könne niemand einfach so auflösen. Habeck will ihn annehmen. Wo es für andere zum Merkmal von Politik gehört, Widersprüche zu überwinden, oder sie ausgeblendet werden, um politisches Handeln zu ermöglichen, erklärt Habeck in seinem Buch eine Politik zum Programm, die „die Widersprüchlichkeit der Moderne und des Fortschritts“ bejaht und danach fragt, wo die blinden Flecken und Kehrseiten möglicher Erfolge liegen.
Die Corona-Krise sei dafür das beste Beispiel: „Gerade das, was in den letzten Jahrzehnten erfolgreich war, was die moderne Gesellschaft stark und reich gemacht hat – globale Märkte, ein hoher Grad an Individualität, Mobilität, Freiheitssinn und Selbstverwirklichung –, macht die Gesellschaft auch verwundbar, angreifbar und verletzlich“, schreibt Habeck. Er verwendet den Begriff des „politischen Paradoxons“, um jene Struktur zu beschreiben, in der eine politische Handlung zum Gegenteil von dem führt, was sie eigentlich beabsichtigte. Etwa wenn demokratische Wahlen zur Abschaffung der Demokratie führen. Wenn man erkennt, dass globale Institutionen nötig sind, um global agierende Firmen zu kontrollieren, am Ende aber faktisch weniger Kontrolle ausgeübt wird. Wenn die EU zu einem gemeinsamen Arbeitsmarkt geführt hat, der mehr Menschen mehr Möglichkeiten verschafft, aber auch zu neuen Ausbeutungsverhältnissen. Das politische Problem bestehe darin, dass die Vorteile für die einen Nachteile für andere bedeuteten und es immer weniger Win-win-Situationen gebe. Erst wenn man das als Problembeschreibung zulasse, komme man „der Größe der politischen Aufgabe unserer Zeit“ näher.
Es gehört zu den Widersprüchen von Habecks eigenem Buch, dass er nach seiner sehr reflektierten Einleitung in den folgenden Kapiteln die einzelnen politischen Ressorts fast wie eine Pflichtübung durchgeht und das Ganze, abgesehen von ein paar sehr persönlich gehaltenen Passagen und Selbstkritik (dass die Grünen lange von der „schmutzigen Arbeit“ in der Kohleindustrie sprachen, hält er gegenüber denen, die im Bergbau hart arbeiten, heute für respektlos), dann rasch doch so klingt wie ein gewöhnliches Parteiprogramm: Bildung, Umwelt, Demographie, Wirtschaft, Sicherheit, Digitalisierung, Identitätspolitik, Kultur – alles wird mit der üblichen Politikerrhetorik nacheinander abgehandelt.
Lagerübergreifendes Denken
Was sich in diesen Kapiteln allerdings nicht abzeichnet, ist, in welche politischen Widersprüche sich Robert Habeck mit den Grünen bei einer möglichen Regierungsverantwortung zu begeben bereit ist. Als vor knapp zwei Jahren Armin Nassehi als Mitherausgeber der Theoriezeitschrift „Kursbuch“ ein Heft zum Thema „Das Grün“ publizierte, erklärte der Soziologe die alten Volksparteien für passé, weil die Interessen und Milieus, die sich früher auf die Union und die SPD verteilten, auseinandergefallen seien. Es gehe heute darum, „Denkungsarten unterschiedlicher Systeme“ miteinander zu verkoppeln. Genau dafür, befand Nassehi, stünden die Grünen als Avantgarde. Doch auch das lagerübergreifende Denken der grünen Spitzenpolitiker, das der Soziologe so lobt, hat seine Kehrseiten und blinden Flecken. Die Widersprüchlichkeit, die Habeck in „Von hier an anders“ als Problembeschreibung annimmt, ist deshalb am Ende auch eine Problembeschreibung der eigenen Partei.