Abtreibung bei Downsyndrom : Richard Dawkins rät einfach zu einem neuen Versuch
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Vierjährige mit Downsyndrom Bild: picture-alliance / BSIP/BL
Der Biologe Richard Dawkins rät über Twitter zur Abtreibung aller Föten mit Downsyndrom. In unserer Optimierungsgesellschaft scheint er für sie keinen Platz zu sehen.
Als Richard Dawkins unlängst dazu riet, Kinder von Märchen fernzuhalten, da dieser ganze übernatürliche Kram sowieso nur deren Denken verneble, anstatt es zu schärfen, konnte man darüber noch irgendwie lachen. Liest man die aktuellen Twitter-Einträge des Biologen, der an der Universität von Oxford lehrte, vergeht einem dieses Lachen allerdings.
Dawkins schreibt: „Wäre ich eine Frau mit einem DS-Fötus, würde ich abtreiben“, weshalb er allen Frauen, deren Kind positiv auf Trisomie 21, auch Downsyndrom genannt, getestet worden ist, auch zu einer Abtreibung rät – und dazu, es einfach noch mal zu versuchen. Nach dem Motto: Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal mit einem gesunden Kind. Für jedes andere Kind gilt Dawkins’ Meinung nach: „Es wäre unmoralisch, es zur Welt zu bringen, wenn man die Wahl hat.“ Auf seiner Website erklärte er sich später noch ausführlicher.
Die Zahlen sprechen für ihn
Dawkins’ Aussagen sind ungeheuerlich, und da hilft es wenig, dass er angesichts des rauhen Twitter-Winds, der ihm nun entgegenbläst, darauf verweist, dass er kein Monster sei und dass eine Mehrzahl der auf Downsyndrom getesteten Föten in Europa und Amerika abgetrieben werde. „Was ich empfehle, ist nicht seltsam, es ist die Norm.“
Ihm hier zu widersprechen wäre naiv. Die Zahlen sind eindeutig: Neun von zehn betroffenen Trisomie-Föten werden abgetrieben. Werdende Mütter, die älter als 35 sind, gelten als Risikoschwangere, weshalb Frauenärzte dazu verpflichtet sind, sie auf die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnostik hinzuweisen beziehungsweise dazu zu raten, ihr ungeborenes Kind auf mögliche Gendefekte untersuchen zu lassen. Nicht selten werden die Frauen unter enormen Druck gesetzt.
@InYourFaceNYer Abort it and try again. It would be immoral to bring it into the world if you have the choice.
— Richard Dawkins (@RichardDawkins) August 20, 2014
Seit 2012 hat dieser Druck weiter zugenommen. Denn da kam der sogenannte PraenaTest der Firma Life-Codexx auf den Markt, ein nichtinvasiver pränataldiagnostischer Bluttest auf eine fetale Trisomie 21. Ein Tropfen Blut der Mutter genügt, um die Frage nach Chromosomenstörungen zu klären, die Genauigkeit des Ergebnisses soll 99 Prozent betragen. Getestet werden kann mittlerweile außerdem, ob bei dem Ungeborenen eine Trisomie18 oder 13 vorliegt.
Dawkins gegen die Normabweichung
Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis der simpel durchzuführende Praena-Test eine Selbstverständlichkeit in deutschen Frauenarztpraxen ist und jene, die sich ihm verweigern, die Ausnahme sind. Damit ist kein moralisches Urteil verbunden, im Gegenteil. Die Frage lautet vielmehr, wie es um die Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten in einer Gesellschaft bestellt ist, in der viele werdende Mütter panisch jeden vorgeburtlichen Test durchlaufen, aus Angst, gar keine andere Wahl zu haben.
Richard Dawkins dürfte die Entwicklung hin zu einer immer ausgefeilteren genetischen Diagnostik mit Freude beobachten. Carol Boys, Geschäftsführerin der Down’s Syndrome Association (DSA), kommentierte Dawkins’ Äußerungen mit den Worten: „Menschen mit Downsyndrom können ein erfülltes Leben führen, sie leisten einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag.“ Die DSA sei bestrebt, alle werdenden Eltern mit genausten Informationen zu versorgen und sie aufzuklären, was es heute heißen kann, ein Leben mit Downsyndrom zu bestreiten.
Der medizinische Fortschritt hat dazu geführt, dass die Lebenserwartung von Menschen mit Downsyndrom inzwischen auf fünfzig bis sechzig Jahre gestiegen ist. Schwergradig geistig behindert sind dabei nur die Allerwenigsten – manche Betroffene können später ein selbständiges Leben führen. Der Praena-Test mag Gewissheit bringen, ob eine Trisomie 21 vorliegt, was er jedoch nicht verrät, ist deren Schweregrad.Tweets wie die von Dawkins sind deshalb so gefährlich, weil sie jegliche Aufklärungsabsicht torpedieren und zu einer Wahrnehmungsverzerrung der Chromosomenstörung beitragen.
Der Skandal liegt nicht darin, dass Dawkins die Abtreibungsrealität beim Namen nennt, er liegt darin, dass diese ihm noch nicht weit genug geht. Versteht man Dawkins richtig, sollten nicht neun von zehn betroffenen Föten abgetrieben werden, sondern alle zehn. Offenbar ist Dawkins der Ansicht, dass behinderte Menschen in einer Optimierungsgesellschaft, in der sich der auf enhancement jeglicher Art getrimmte Mensch am besten durchsetzt, nichts verloren haben. Die Normabweichung ist für ihn ein schlicht nicht lebenswertes Handicap. Anstatt auf Inklusion zu setzen, plädiert er für eine Exklusion im Mutterleib.