Rezension : Geschenke verpflichten, aus der Kulturgeschichte des Schenkens
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Bild: C.H.Beck
Ein neues Sachbuch von Natalie Zemon Davis: Geschenke verpflichten. Sie werden keineswegs so selbstlos gegeben, wie es scheint.
Die Historikerin Natalie Zemon Davis, Aby-Warburg-Preisträgerin des Jahres 2001, zeigt in ihrem neuen Buch „Die schenkende Gesellschaft“ am Beispiel der französischen Renaissance, welch eine überragende Bedeutung das Schenken in zivilisierten Gesellschaften besitzt.
Es war der französische Soziologe Marcel Mauss, der mit dem Vorurteil aufräumte, Geschenke seien eine selbstlose Angelegenheit. Das Gegenteil ist richtig: Geschenke fordern. Sie sind nur „theoretisch freiwillig“, schreibt Mauss in seinem epochalen Buch „Die Gabe“ (1925). In Wirklichkeit müssen Geschenke immer gegeben und erwidert werden und haben deshalb einen „zwanghaften und eigennützigen Charakter“. Geschenke bewahren den Frieden, stiften Solidarität und Freundschaft, mit ihrer Hilfe wird der gesellschaftliche Status des Gebenden wie des Nehmenden bestätigt oder erst definiert. Geschenke sind das Amalgam einer Gesellschaft - zumindest einer archaischen. Seine Beispiele fand Mauss auf Samoa oder bei den Maori.
Schenken hängt nicht von der Wirtschaftsform ab
Im Laufe der Jahrhunderte indes habe der Gabentausch an Bedeutung verloren. Sobald sich erst einmal der Markt mit Preisen in Geldform herausgebildet hatte, war nach seiner Ansicht das Ende des Gabentauschs gekommen. Im Gegensatz zu Mauss ist Natalie Zemon Davis davon überzeugt, dass das Schenken nicht von der Wirtschaftsform des Kaufens und Verkaufens verdrängt worden sei, sondern weiter bestanden habe - und zwar teilweise bis heute.
Während aber im Frankreich des 16. Jahrhunderts viel und heftig darüber gestritten wurde, was gute und was falsche Geschenke waren und welche Art von Verpflichtung sie nach sich zogen, wird darüber heute meist geschwiegen. Ob es um Mäzenatentum oder das Stiften von Kunst geht, in der Regel wird nur der Altruismus des Wohltäters beschworen. Welche Rolle die Geschenke beim Aufbau diskret-vertraulicher Netzwerke spielen, wird nicht thematisiert - nicht einmal im Fall der Korruption, für die prinzipiell das gleiche gilt. Sie wird als die Tat einzelner Personen dargestellt, die gegen den Verhaltenskodex des modernen Staates mit seiner bürokratischen Organisation verstoßen, weil es ihnen an persönlicher Integrität fehlt.
Geschenke verpflichten
Menschen sind aber keine nur rational handelnden Wesen. Sie suchen immer den persönlichen Kontakt, die Gemeinsamkeit, und Geschenke tragen das Ihre dazu bei. Wo aber nur Höflichkeit im Spiel ist, wo Freundschaft anfängt oder schon Bestechung blüht, ist letztlich kaum zu unterscheiden. Geschenke verpflichten - wird das geleugnet, gerät das Schenken ins Zwielicht.
Im Frankreich der Renaissance hingegen war das ein heiß diskutiertes Thema. Zumal es eine Zeit war, in der die überkommenen Normen brüchig wurden. Die Schenkpraxis der Zeit speiste sich aus einer Reihe von Traditionen: der Caritas, also der christlichen Nächstenliebe, der adligen Freigebigkeit, nach der Großzügigkeit das Attribut eines fürstlichen Menschen war, den Wohltaten der Freundschaft sowie der solidarischen Hilfsbereitschaft unter Nachbarn.
Wann gibt es Dankesgaben?
Hinter all diesen Traditionen stand die Gewissheit: Jede Gabe wird belohnt - von Gott oder den Untertanen, vom Freund oder dem Nachbarn. Die Kraft des Geschenks lag darin, dass es nicht messbar war. Auf dem Markt hatte der Fisch seinen Preis. Bezahlte man ihn, war man quitt und musste keinen Gedanken mehr darauf verschwenden. Brachte aber der Nachbar einen selbst geangelten Barsch mit, so konnte man nie sicher sein, mit einem Gegengeschenk zu einem Ausgleich zu gelangen. Immer fühlte man sich verpflichtet, diskutierte mit den Seinen, was zu tun war. Das verband.
Hinzu kam: Wann war der richtige Zeitpunkt für eine Dankesgabe? In welcher Form solle sie dargeboten werden? Immer galt es den Eindruck zu verhindern, man wolle sich freikaufen, das Geschenk sei nur ein Handel. Da wundert es nicht, wenn das Bewusstsein für die Kosten eines Geschenks stieg. Nicht bloß, dass Geschenke Neid hervorriefen, sie konnten schlimme Folgen haben. Die Zeit beschäftigte sich intensiv mit der Büchse der Pandora, die so freigebig Übles in die Welt brachte; oder mit dem Geschenk des Paris, dessen goldner Apfel für Aphrodite den Trojanischen Krieg auslöste.
Absage an den Geist des Schenkens
Dass die Renaissance auch die Zeit war, in der sich der Geist des modernen Individuums formierte, das sich allen überkommenen Verpflichtungen entheben wollte, zeigt Michel de Montaigne und seine Absage an den Geist des Schenkens: „Ich finde, nichts kommt mich so teuer zu stehn wie das, was mir geschenkt wird und wofür mein Wille mit einer Dankesschuld belastet bleibt. Lieber nehme ich Dienste in Anspruch, die zu kaufen sind. Habe ich nicht Recht? Für diese gebe ich ja nur Geld, für jene aber mich selbst!“
Das Leben solle sich auf „Recht und Gesetzesmacht“ gründen, forderte Montaigne, „nicht auf Erkenntlichkeit und Huld“. Damit benannte er die Prinzipien des modernen Staates. Das Schenken mit seinem verpflichtenden Charakter lebte indes fort - vielleicht ist es an der Zeit, es aus seinem Schattendasein zu befreien.