Rezension : Die versetzte Generation
- -Aktualisiert am
Bild: Der-Audio-Verlag
Das 1995 erschienene Buch „Kanak Sprak“ von Feridun Zaimoglu gibt es als gerapte Hörspielfassung. Eine Art Subkultur verschafft sich Gehör.
Türken der zweiten und dritten Generation haben mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen als gleichaltrige Deutsche. Der türkischen Kultur sind sie durch ihre westliche Sozialisation und deren Integrations-Anstrengungen entwachsen. Viele sprechen ein gebrochenes Türkisch, das sie in der Türkei zu Deutschen oder „Deutschländern“ macht; durch ihr gebrochenes Deutsch wiederum sind sie hier, in ihrer eigentlichen Heimat, nicht als Deutsche anerkannt.
Die Vermischung der Kulturen erzeugt somit eine neue Abgrenzung. Vorbildfunktion und Idolcharakter türkischer Institutionen haben nicht mehr den Effekt wie bei Jugendlichen in der Türkei. Trotzdem werden sie gelehrt. Westliche Ikonen der Jugendkultur sind ihrer Aufgeblasenheit wegen nicht zu erreichen. So vollzieht sich ein Leben zwischen den Kulturen, das weder der einen noch der anderen gerecht wird. Seinen Ausdruck findet es in lauten „Turkye“-Rufen und dem Unterlegen türkischer Folklore mit Drum & Bass. Das dröhnt dann laut aus dem 3er BMW und reizt die Mitbürger.
Die Probleme in Schule und Beruf müssen nicht besonders hervorgehoben werden. Die selektierende Arbeitsmarktsituation fördert nicht gerade das Einfinden in ein Gemeinwesen. Dem oberflächlichen Betrachter zeigen sich türkische Jugendliche als gewaltbereite Machos, mit denen nicht gut Kirschen essen ist. Als Selbstschutz folgt wiederum die Abgrenzung - auf beiden Seiten.
Wer sich ein realistisches Bild der Situation der Türkinnen und Türken dieser „versetzten“ Generation machen will, dem sei Feridun Zaimoglus „Kanak Sprak“ empfohlen. Zaimoglu, auch schon mal als der „deutsche Malcolm X“ betitelt, befragte türkische Jugendliche über deren Lebenssituation: Rapper, Packer, Zuhälter, Psychatriepatienten, Gelegenheitsstricher usw. gaben bereitwillig Auskunft. In der überarbeiteten Version Zaimoglus erscheinen diese Lebenszeugnisse als poetische Reportagen von der Straße. Ihr Jargon ist die Kanak Sprak: Ein Gemisch aus Türkisch, Deutsch und amerikanischem Straßenslang. Entstanden ist das Protokoll einer Subkultur, die sich nicht mehr verleugnen lässt.
Das Buch liegt nun als Hörspiel vor. In einer Mischung aus Raps und Lesungen werden diese Lebensprotokolle von den Rappern Ali Aksoy und Ole Peter Jess und verschiedenen Vorlesern vorgetragen, u.a. von Feridun Zaimoglu selbst. Die verschiedenen Sprechweisen verdichten das Bild dieser Lebensentwürfe zu einem „Denkmal“ zeitgenössischer Kultur. Dabei ist es Zaimoglu wichtig, nicht auf die Multi-Kulti-Schiene zu geraten und für Integration und Völkerversöhnung zu sprechen, er glaubt nicht an „die homogene Ethnie, an das Märchen von der Multikulturalität“.
Die Stücke sind Stimmen aus dem Getto. Die Jugendlichen bezeichnen sich selbst als Kanaken und räumen auf mit dem Vorurteil, dass durch Integration alles gut werden wird. Die Texte vom „Menschenmüll in den Straßen der Metropolen“ bilden so ein starkes Stück Sozialkritik sowohl an den Werten unserer saturierten westlichen Gesellschaft als auch an denen der Überlieferung türkischer Lebenswelt - und stehen weit jenseits der ironischen Annäherung an das Phänomen durch Verballhornung des Kauderwelsches in Comedy-Shows.