Rezension: Sachbuch : Deutschland
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"Führer durch das lasterhafte Berlin" von Curt Moreck (bürgerlich Konrad Haemmerling). Faksimile der Erstausgabe von 1931. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1996. 231 Seiten mit vielen Reproduktionen zeitgenössischer Maler. 78 Mark. ISBN 3-87584-583-8.
Curt Moreck, der Autor des "Führers durch das lasterhafte Berlin", galt in den frühen dreißiger Jahren als einer der Bestsellerautoren im Verlag Ernst Rowohlt. Über sein Leben ist heute, abgesehen von einer autobiographischen Notiz aus der Zeitschrift "Welt und Wort", wenig bekannt. 1933 wurden seine Bücher verbrannt, und sein Name wurde aus dem "Kürschner Literaturkalender" genommen. Dabei war die Verfolgung durch die Nazis, die er während des gesamten Dritten Reiches durchstehen mußte, ein Irrtum: Er galt als Jude, war aber keiner. Er nahm wieder seinen bürgerlichen Namen, Konrad Haemmerling, an. Aber auch unter diesem Namen durfte er seinen Roman "Der Mann, der Shakespeare hieß" nicht veröffentlichen. Moreck war 1888 in Köln geboren, siedelte nach ersten schriftstellerischen Erfolgen nach München, wo er 1957 gestorben ist. Sein Berlin-Führer ist also das Buch eines stadtfremden Besuchers, der sich aber so stellt, als kenne er sich in allen Intimitäten der Stadt bestens aus. Das fällt dem Leser als erstes störendes Element auf. Im übrigen folgt das Buch im Stil der Zeit dem damals als bekannt geltenden Stadtbild. Darüber gibt es Hunderte von Büchern, gute von Walter Benjamin, Joseph Roth, Siegfried Krakauer und Hans Fallada, nachgeplapperte wie dieses von Moreck. Ein Berlin-Klischee reiht sich an das andere. Armut und Elend durch die Arbeitslosigkeit wird dabei geschildert, als handle es sich um ein tolles Vergnügen. So mag man das damals gesehen haben - diese Berliner, was sind sie doch für ein Völkchen! -, heute ist der Ton schwer zu ertragen. Moreck beschreibt das ganze Programm, Tanzpaläste, die Stammlokale der Transvestiten, der Lesben, der Homosexuellen, wo er sich wundert, daß alles so harmlos sei. Manchmal verrät ihn die Sprache, nicht als Naziverfolgten, eher als Mitläufer, wenn er etwa davon spricht, "eine Örtlichkeit nuttenrein" zu halten. Das Witzigste an dem Buch ist die "Fahne", die dafür wirbt und auf der es heißt: "Mit vielen farbigen Bildern erster Künstler." Der Ausdruck "erste Künstler" klingt heute so fern, als stamme er aus der Goethe-Zeit. Tatsächlich sind die Bilder von Zille, Paul Kamm, Christian Schad und vielen anderen das Beste an dem Buch. Die Nicolaische Verlagsbuchhandlung hat aus dem Faksimile eine kleine Kostbarkeit gemacht. (Sr.)