: Erkenntnisse aus Venedig
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Ein Venedig-Führer, der mit dem Satz: "Siehst du den Sonnenuntergang . . .?" beginnt, läßt Unerfreuliches vermuten. Und kann man über Venedig überhaupt noch etwas schreiben - noch dazu einen Reiseführer? Hat die Stadt mit ihren Millionen von Besuchern, den ewigen Hiobsbotschaften von Untergang und Hochwasser ...
Ein Venedig-Führer, der mit dem Satz: "Siehst du den Sonnenuntergang . . .?" beginnt, läßt Unerfreuliches vermuten. Und kann man über Venedig überhaupt noch etwas schreiben - noch dazu einen Reiseführer? Hat die Stadt mit ihren Millionen von Besuchern, den ewigen Hiobsbotschaften von Untergang und Hochwasser und der unermüdlich neuen Venedig-Kitsch produzierenden Erfolgsautorin Donna Leon nicht schon seit Jahren ein schöneres Pendant in Las Vegas? Dort im Luxushotel "The Venetian" kann man mit einer Rolltreppe über die Rialtobrücke fahren und im nachgebauten Dogenpalast übernachten, während das reale Venedig am Massentourismus zugrunde zu gehen scheint. Dorette Deutsch zeigt, daß es geht. Die Autorin macht sich unerschrocken daran, die schöne Leiche Venedig zu beatmen, und es gelingt ihr, in den zwölf Kapiteln des Buchs der Stadt neues Leben einzuhauchen. Das geht nicht ganz ohne die übliche Italien-Schwärmerei, auch verhakt sich manchmal die Sprache. Insgesamt aber erschöpft Dorette Deutsch weder sich noch ihre Leser mit der Beschreibung untergehender Schönheit. Bestechend recherchiert und genau formuliert sind ihre Beobachtungen über Porto Marghera, dem Venedig vorgelagerten, die gesamte Lagune bedrohenden Hafen mit seinen gigantischen Industrieanlagen. Originell ist das Kapitel über Mestre, der kleinen Stadt auf dem Festland. Überhaupt sind die Kapitel des Buchs, die sich kritisch und reflektiert mit der komplizierten Gegenwart Venedigs beschäftigen, die interessantesten. Die Autorin wirft einen sachlichen Blick auf die drängenden Probleme der Stadt, die, obwohl riesiges Freilichtmuseum, doch auch immer noch urbaner Lebensraum ist. Ihr Portrait des Stadtplaners Roberto D'Agostino und seiner Visionen für ein neues, verändertes Venedig sollte jeder Besucher der Stadt gelesen haben. Schade vielleicht, daß die Autorin den berühmten Villen an der Brenta und der venezianischen "Villeggiatura" kein Augenmerk geschenkt hat. Etwas blutleer ist auch das Kapitel über "Ausländer in der Stadt". Gerade das Venedig des achtzehnten Jahrhunderts war favorisiertes Reiseziel nordeuropäischer Reisender und der Karneval nur Vorwand für allerlei erotische Ausschweifungen. Unzählige Reisetagebücher geben hierüber Auskunft. Das wäre interessanter zu lesen gewesen als die auf vielen Seiten raunenden Reflektionen der Autorin über venezianische Orgeln.
üte
"Gebrauchsanweisung für Venedig" von Dorette Deutsch. Piper Verlag, München 2003. 187 Seiten. Gebunden, 12,90 Euro. ISBN 3-492-27523-0.