Putschversuch in der Türkei : Der große Brand
- -Aktualisiert am
Istanbul am Morgen danach: Der Morgen eines Landes, in dem nicht die Demokratie gestärkt war, sondern Erdogan. Bild: AFP
Wann werden die Scheiben vom Lärm der Kampfjets zerbrechen? Wann werden die näher kommenden Schüsse vor der Tür sein? Die Schriftstellerin Ece Temelkuran beschreibt den Putschversuch.
Es ist halb zwei in der Nacht und von allen Minaretten in der Türkei erklingt unablässig dieser spezielle lange Gebetsruf, der bei Todesfällen zur Anwendung kommt. Endet einer, fängt schon der nächste an. Das Donnern der Kampfjets über unseren Dächern vermischt sich mit diesem ins Mark gehenden Gebetsruf, der für uns den Tod verkündet. Als die Gefechtsgeräusche verstummen, kommen von den Moscheen Durchsagen zum Widerstand gegen das Militär:
„Dies ist ein Dschihad. Geht für Allah auf die Straße!“
Was tun Sie, wenn Sie sich fragen, ob Sie am nächsten Morgen bei einem Militärputsch oder in einer Islamischen Republik aufwachen?
Das war ein Scherz.
Der Sarkasmus erreicht ungeahnte Gipfel
Seit langem loten die Menschen in der Türkei die Grenzen des Humors aus, um sich ihre geistige Gesundheit zu bewahren. Der Sarkasmus erreicht ungeahnte Gipfel. Ich weiß nicht, ob das ein Zeichen für krankhafte Sensibilität ist oder ob die Menschen einfach nur versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen, doch während wir uns fragen, wann die Scheiben vom Lärm der Kampfjets zerbrechen, wann die näher kommenden Schüsse vor der Tür sein werden, gehen in den sozialen Medien, dem einzigen Ort, wo wir miteinander reden, Witze um:
„Die türkische Republik ist tot, deshalb wird der Sela gerufen.“
Am Anfang war es tatsächlich fast komisch, es war logischer, an eine Inszenierung zu glauben. Eine Handvoll perplexer junger Soldaten hatte eine der Bosporus-Brücken gesperrt. Sie brüllten die Leute an: „Geht nach Hause!“ Ich habe einen Roman über den Militärputsch von 1980 geschrieben, ich weiß, so läuft kein Putsch ab. Ein Putsch ist eine ernste Angelegenheit. Leute, die Putsche erlebt hatten, schrieben in den sozialen Medien gleich: „Das ist ein Spiel von Erdogan, er sagt: ,Die putschen gegen mich‘, und erklärt sich am nächsten Tag zum Präsidenten.“
Mehr als 260 Todesopfer : Putschversuch erschüttert die Türkei in ihren Grundfesten
Ernster wurde die Sache, als Erdogan über den Chatdienst Facetime in den Fernsehkanälen auftauchte und die Bevölkerung aufrief, auf die Straße zu gehen, um die Demokratie zu schützen. Ich war überzeugt davon, dass niemand, der aus dem kollektiven Gedächtnis wusste, wie brutal Putsche sind, auf die Straße gehen würde. Doch innerhalb weniger Minuten füllten sich die Straßen mit Autos voller Leuten, die „Allahu akbar – Gott ist groß!“ brüllten. Ein absurder Anblick.
Wir hatten Angst in der Nacht zum Samstag
Am Flugplatz versetzten Menschen Panzern Fußtritte, Zivilisten nahmen junge, sich kaum wehrende Soldaten als Geiseln, es kam auch zu Lynchvorfällen gegen Soldaten. Die Allahu-akbar-Rufe waren bald auch auf CNN Türk zu hören. Rund eine Stunde, nachdem die Sprecherin gesagt hatte: „Soldaten stürmen den Sender“, sahen wir nicht Soldaten mit einer Erklärung zum Putsch auf dem Bildschirm, sondern einen seltsamen jungen Mann, offenbar ein Erdogan-Anhänger. Er rief drei Mal „Allahu akbar“ in die Kamera und setzte sich dann gelangweilt hin. Das ganze Land beobachtete diesen Mann im rosa T-Shirt, der sich mit seinem Smartphone beschäftigte und mit der Fernbedienung versuchte, die Fernsehapparate des Senders in Gang zu setzen. Dabei drückten wir Kissen gegen die vom Dröhnen der Kampfjets zitternden Fensterscheiben. Nichts Neues für uns, Trauer und Angst werden bei uns stets von Absurdität gebrochen.
Wir hatten Angst in der Nacht zum Samstag. Nur der Staatspräsident nicht! Sein Flugzeug war lange in der Luft gekreist, als es endlich auf dem Atatürk-Airport in Istanbul landete, befand sich unter den Tausenden dort auf ihn wartenden Menschen auch sein Schwiegersohn, unser Energieminister Berat Albayrak. Während der von einer Handvoll Generälen initiierte Putschversuch ins Chaos abglitt, während Kampfjets das Parlament in Ankara bombardierten, während Geschichtskenner Vergleiche zum Reichstag zogen, war auffällig, wie ruhig die beiden reagierten:
„Damit tut Allah uns einen Gefallen. Warum? Weil dieser Vorgang für eine Säuberung in unseren Streitkräften sorgen wird.“
Damit war klar, in was für einem Land wir am nächsten Morgen aufwachen würden. In einem Land, in dem Bilder umgehen, wie einer jener zum Schutz der Demokratie auf die Straße gerufenen Menschen einem Soldaten, der sich ergeben hatte, die Kehle durchschneidet. Es war der Morgen eines Landes, in dem nicht die Demokratie gestärkt war, sondern Erdogan.