Unser Zar ist unberechenbar
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Aus dem unglücklichen Petersburger Taxifahrer wurde ein Zar: Wladimir Putin im Kreml. Bild: AP
Dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich Putin Russland untertan gemacht. Doch er will mehr. Die postheroischen Gesellschaften im Westen sind ihm nicht gewachsen.
Ich erinnere mich an die letzten Minuten der Sowjetunion. Am 25. Dezember 1991 war ich zum Abendessen bei Freunden im berühmten „Haus an der Moskwa“, erbaut seinerzeit für Stalins Minister und andere Mitglieder der sowjetischen Nomenklatura – direkt gegenüber dem Kreml. Wir hingen alle am Fenster. Um etwa zwanzig vor acht sah ich, wie die riesige rote Fahne auf dem Senatspalast des Kremls langsam eingeholt wurde. Das hatte etwas Erniedrigendes für die Großmacht. Als hätte man ihr die Hosen runtergelassen. Und dann wurde die neue Fahne gehisst – die Trikolore, das antibolschewistische Symbol der Demokratie, worunter die Weiße Armee im Bürgerkrieg gegen das Regime Lenins gekämpft hatte. Es war wie ein Wahnsinnstraum, ein Feuerwerk der Hoffnungen. Plötzlich schien es unser Land zu werden. Ein Land, das man endlich umarmen konnte.
Was geschah im Kreml nach dem Einholen der sowjetischen Fahne? Nachdem Gorbatschow dem Verteidigungsminister den Atomkoffer überreicht hatte, begab er sich, nun als ehemaliger Präsident, mit einer Handvoll nahestehender Personen ins Nussbaumzimmer zum Abendessen. Weitere Verabschiedungen für Gorbatschow fanden nicht statt.
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