Proteste in Polen : Der politische Kurs bleibt hart umkämpft
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Die Proteste in Polen halten seit sieben Wochen an. Bild: AFP
Angefangen hatte alles mit Protesten gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts. Die Folge davon zeigt sich in dem angekündigten Streik der Hochschulen, mit dem der Rücktritt von Minister Czarnek gefordert werden soll.
Die Proteste in Polen gehen in die siebte Woche. Sie hatten begonnen als spontane Demonstrationen Hunderttausender gegen eine drohende Verschärfung des Abtreibungsrechts. Die in einer ähnlichen Situation 2016 gegründete Gruppe „Gesamtpolnischer Streik der Frauen“, die diese Proteste koordiniert, schrieb sich schnell weitergehende Forderungen auf die Fahnen, von der völligen Freigabe der Abtreibung bis zum „Rücktritt der Regierung“. Bald stellte sich die Frage, ob es der kleinen Gruppe gelingen würde, ihre Basis zu verbreitern und den Protest – etwa in Form eines zeitweise angepeilten Generalstreiks – zu verstetigen. Eine Antwort könnte diese Woche bringen: Sympathisanten der protestierenden Frauen an den Hochschulen haben einen „Bildungsstreik“ angekündigt. Höhepunkt soll am Mittwoch sein. An diesem Tag werde man nicht an Lehrveranstaltungen teilnehmen, heißt es in über Facebook verbreiteten Aufrufen. Man hoffe, dass sich das Lehrpersonal anschließen werde. Diesmal ist das Ziel deutlich realistischer: Der Protest zielt auf den Rücktritt des Mitte Oktober ernannten Ministers Przemyslaw Czarnek von der nationalkonservativen Partei PiS.

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Der 43 Jahre alte Juraprofessor übernahm damals im Rahmen einer Kabinettsumbildung das durch Zusammenlegung zweier Bereiche entstandene Ministerium für Bildung und Wissenschaft. Schon seine Ernennung provozierte Protest wie kaum eine andere Personalie dieser Regierung. Natürlich meldeten sich auch Verteidiger, so etwa sechsundfünfzig Wissenschaftler, die schrieben, gegen den Minister habe sich eine Welle von Verleumdungen und Lügen erhoben. Czarnek sei „offen für den Dialog, aber zugleich steht er unnachgiebig auf dem Fundament und auf der Wacht zugunsten der polnischen Rechtsordnung und der Werte, die das polnische Volk über Jahrhunderte gebaut haben“ – die Werte haben also das Volk gebaut, nicht umgekehrt . . .
Die Kritiker haben Grund zur Sorge, ohne sich deswegen auf Verleumdungen stützen zu müssen. Czarneks Äußerungen in Fernsehstudios ebenso wie in wissenschaftlichen Texten weisen ihn als einen der schärfsten Kritiker der angeblich neomarxistischen und unchristlichen „LGBT-Ideologie“ aus. Im Juni sagte der damalige Abgeordnete in einer Diskussion über Homosexuelle, man solle doch „aufhören, auf diese Idiotismen von irgendwelchen Menschenrechten oder Gleichheit zu hören. Diese Menschen sind normalen Menschen nicht gleich, beenden wir doch diese Diskussion.“ Für diese Worte bekam Czarnek eine Rüge von der Ethikkommission des Parlaments. An anderer Stelle verkündete der Familienvater, es sei die göttliche Berufung der Frauen, Kinder zu gebären, und rechtfertigte die körperliche Bestrafung von Kindern als Erziehungsmaßnahme.
Eine der Protestaktionen des Frauenstreiks galt bereits Czarneks Ministerium: Einige der Demonstrantinnen ketteten sich am Einfahrtstor an, andere beschmierten das Gebäude mit Parolen. Dass ausgerechnet Czarnek dieses Amt übernahm, könnte mit der Auffassung mancher PiS-Politiker zusammenhängen, man stehe jetzt – unter zunehmendem Druck seitens der EU und mit Protesten und schlechten Umfragewerten im eigenen Land – in einer Art letztem Gefecht. Auf die Frage eines Journalisten sagte der neue Minister kühn, er genieße unter Schülern und Studenten viel Sympathie. Da könnte er sich täuschen: Wohl kein Protest seit 1989, als Polen die Diktatur abschüttelte, hat bisher so viele, üblicherweise politikverdrossene junge Menschen auf die Straßen gebracht wie dieser.