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Kommentar: Studentenproteste : Uni von unten

  • -Aktualisiert am

Soziologe und Stadtforscher: Andrej Holm Bild: dpa

Seit Wochen gibt es Proteste gegen die Entlassung des Stadtsoziologen Andrej Holm an der Humboldt-Universität. Wann werden den Besetzern die Grenzen der Zumutbarkeit aufgezeigt?

          2 Min.

          Die Besetzung von sieben Seminarräumen des Institutes für Sozialwissenschaften (zu dem 23 Lehrbereiche gehören) an der Berliner Humboldt-Universität geht in die vierte Woche. Studenten und Unterstützer derselben machen nicht den Eindruck, als wollten sie einlenken oder gar aufgeben. Zwar sind die verkündeten Teilnehmerzahlen von Solidaritätsdemonstrationen mächtig hochgerundet (einige hundert auf 1500 und mehr), aber in den Räumen an der Georgenstraße herrscht auch am Wochenende fröhliches Treiben. Wie viele Besetzer von der HU dabei sind, wie viele zum Kern von „#holmbleibt“ gehören oder einfach nur zu Gruppen, die sich dem Kampf gegen die Gentrifizierung der Städte verschrieben haben, ist so wenig auszumachen wie ein Kernthema, das vielleicht alle eint.

          Der Protest, der sich an der Entlassung des Stadtsoziologen Andrej Holm entzündet hatte, scheint, was die Themenvielfalt betrifft, zu wuchern wie der süße Brei. Mit Merkel gehe es nicht mehr, heißt es, und mit der Stadt und diesen unbezahlbaren Mieten sowieso nicht, das Studium - jedwedes - müsse reformiert werden und die Welt gerechter und so weiter.

          Eine freundliche Bitte erntet triumphierenden Spott

          Sie glaube nicht, sagt eine Aktivistin von der Freien Universität, dass dieses „herrliche Haus“ von ihnen ohne Not aufgegeben werde. Die junge Frau deutet auf die (osteuropäischen) Obdachlosen, die seit Wochen schon unter der Brücke gegenüber Schutz vor der Kälte suchen, und auf die Stadt ringsum, das gentrifizierte Zentrum der Hauptstadt. Das gehe alles gar nicht mehr! Ein Student, auf die Kündigung Holms angesprochen, versichert ernst, der in den Medien verbreitete Grund - Holms unwahre Angaben auf dem Personalbogen und die Stasi - sei nur vorgeschoben. Hier habe sich die Immobilienlobby durchgesetzt. Verschwörungstheorien dieser und noch abenteuerlicherer Art lassen sich im Netz nachlesen.

          Die freundliche Bitte der Universitätspräsidentin, das Haus freizugeben, auch mit Rücksicht auf alle, „die nicht am Protest und der Besetzung teilnehmen“ - der Mehrheit -, hat ihr nur triumphierenden Spott von den Protestlern eingebracht. Die haben inzwischen eine „Uni von unten“ ins Leben gerufen und verlangen eine andere, nicht näher beschriebene Stadtpolitik. Fürchten müssen sie sich nicht, der Offene Brief des Universitätspräsidiums signalisiert viel Verständnis, auch wenn die Besetzung als „rechtswidrig“ angesehen wird und bereits viele Lehrveranstaltungen ausfallen mussten. Was die Besetzer wenig kümmert, ihre „Uni von unten“ sei schließlich ein Riesenerfolg.

          Hier müsste vielleicht erst einmal geklärt werden: Bleibt die HU eine gebührenfreie staatliche Universität, deren Leitung das Klima bestimmt und die Freiheit von Forschung und Lehre schützt, oder überlässt sie das energischen linken Aktivisten? Die haben hier ihre verquere Ideologie schon öfter erfolgreich demonstriert, Professoren denunziert und den Innenminister aus dem Hörsaal verjagt, ohne dass ihnen je Grenzen der Zumutbarkeit aufgezeigt wurden.

          Regina Mönch
          Freie Autorin im Feuilleton.

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