Pränataldiagnostik : Wer Behinderungen sucht, findet
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Kommt es zu einer Ausgrenzung von Behinderten durch pränataldiagnostischen Fortschritt? Unser Bild zeigt eine integrative Spielgruppe in einem Frankfurter Kindergarten. Bild: Falk Orth
Das Down-Syndrom lässt sich bei Embryonen immer leichter diagnostizieren. Ist es bald ein vermeidbares Übel? Die Politik sieht tatenlos zu, wie die Medizin Fakten schafft.
Vergangenes Wochenende fand im Medizinischen Versorgungszentrum „Pränatal-Medizin München“ ein völlig überbuchtes Winter-Symposion statt, das sich vor allem an Gynäkologen richtete. Es ging um den neu entwickelten molekulargenetischen Test, der es frühzeitig und mit hoher Sicherheit erlaubt, das Risiko eines Down-Syndroms beim Ungeborenen ohne invasive Untersuchungen festzustellen. Cornelia Daumer-Haas, Fachärztin für Humangenetik und Mitveranstalterin, wird eine der Ersten sein, die diesen Test voraussichtlich Mitte des Jahres zur Anwendung bringt.
Dass der Test vorerst nur von einer eher kleinen, feinen Gemeinschaft hochqualifizierter und spezialisierter Gynäkologen und Humangenetiker bei Schwangeren gemacht werden soll, dürfte in erster Linie eine unternehmenspolitische Entscheidung sein. In den vergangenen Monaten war in Medien und auch von Humangenetikern befürchtet worden, dass mit der neuen und - im Gegensatz zur Fruchtwasseruntersuchung - nahezu risikolosen molekulargenetischen Untersuchungsmethode, die lediglich eine Blutentnahme bei der Schwangeren erfordert, der Weg für ein umfassendes Screening nach Embryonen mit dem Down-Syndrom geebnet wird.
Wolfram Henn, Humangenetiker an der Universitätsklinik des Saarlands, skizziert die absehbaren Konsequenzen: „Dann wird es so sein, dass nur noch sehr wenige Kinder mit Down-Syndrom geboren werden, nämlich diejenigen von Eltern, die aus persönlichen Gründen diesen Test ablehnen. Und dann wird das Kind mit Down-Syndrom als ein - in dicken Anführungszeichen - vermeidbares Übel angesehen werden.“
Eine gesetzliche Anpassung ist nötig
Frau Daumer-Haas von „Pränatal-Medizin München“ teilt diese Sorgen gegenwärtig nicht. Der Test werde nur bei Schwangeren eingesetzt, bei denen das Risiko ohnehin erhöht sei, ein behindertes Kind zu bekommen. Außerdem stehen die hohen Kosten des Tests, der als sogenannte Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) von den Schwangeren selbst getragen wird, einer flächendeckenden Verbreitung entgegen: „Sie zahlen etwa 1300 Euro und haben dafür allenfalls eine Aussage darüber, dass Sie kein Kind mit Down-Syndrom bekommen. Über weitaus gravierendere Behinderungen wissen Sie dagegen damit nichts.“
Die Humangenetikerin geht auch davon aus, dass nach einem positiven Ergebnis mit dem neuen Test, bei dem die im Blut einer Schwangeren vorkommende DNA des Ungeborenen untersucht wird, vor einer eventuellen Abtreibung noch eine traditionelle invasive Diagnostik zur Absicherung durchgeführt wird. Damit mag in der Einführungsphase des Tests einem umfassenden Screening vorgebeugt sein. Über die zukünftige Anwendung sagt das nichts. Die Untersuchungen werden kostengünstiger werden, möglicherweise werden sich auch die Kassen irgendwann aus wirtschaftlichen Erwägungen entschließen, mit einzutreten. Die Zahl der erfassten chromosomalen Besonderheiten wird in den nächsten Jahren wachsen. Wenn verhindert werden soll, dass immer mehr Formen von Behinderung pränatal in der Praxis umfassend zur Fahndung ausgeschrieben werden, bedarf es mindestens einer Anpassung gesetzlicher Regelungen.
Die Politik entzieht sich der Verantwortung
Die Anwendung von pränatalen Gentests unterliegt dem 2009 in Kraft getretenen Gendiagnostikgesetz. Hier findet sich in Paragraph 7 ein Ansatzpunkt, der eine Ausweitung solcher Tests begrenzen könnte: Heute dürfen nicht nur Fachärzten für Humangenetik, sondern beispielsweise auch weniger spezialisierte Gynäkologen solche Tests und die entsprechende Beratung durchführen - eine Eingrenzung könnte hier ein erster Schritt sein, den sich entwickelnden Fahndungsdruck zu mildern. Allerdings erscheint die Politik in Fragen pränataler genetischer Untersuchung derzeit nicht besonders willig. Während die neuen, ethisch bedenklichen molekulargenetischen Tests auf den Markt drängen, sind noch nicht einmal die gerade vom Gesetzgeber entschiedenen Fragen der Präimplantationsdiagnose (PID), die nach einer künstlichen Befruchtung noch vor der Einsetzung des Embryos in den Mutterleib erfolgt, um zu verhindern, dass Embryonen mit Behinderungen eingesetzt werden, ausreichend gelöst.
Das Gendiagnostikgesetz verbietet die pränatale Feststellung von Erkrankungen und Behinderungen, die erst nach dem achtzehnten Lebensjahr zutage treten, wie beispielsweise die Huntington-Krankheit. Das Embryonenschutzgesetz enthält eine solche Einschränkung nicht ausdrücklich; die Ethikkommissionen müssen gegebenenfalls im Einzelfall entscheiden, ob bei einem Embryo im Reagenzglas mit Hilfe der PID nach einer Krankheit gesucht werden darf, die bei einem Embryo im Mutterleib nicht diagnostiziert werden dürfte. Obwohl das neue Gesetz schon seit Wochen in Kraft ist, gibt es für die erforderliche Rechtsverordnung aber noch nicht einmal einen Referentenentwurf. Dafür haben schon erste reproduktionsmedizinische Zentren die Geburt von Kindern nach PID verkündet. Frank Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, kritisiert die Untätigkeit des Gesundheitsministeriums: „Offensichtlich soll sich hier die Kraft des Faktischen durchsetzen, und die Politik zieht sich aus der Verantwortung.“