Rapper in den Charts : Man spricht deutsch
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Der Berliner Rapper Ufo361, kurz nachdem er mit „808“ auf Platz Eins der Deutschen Album-Charts eingestiegen ist. Bild: Picture-Alliance
So viele deutschsprachige Nummer-1-Hits wie heute gab es in den deutschen Charts noch nie. Zu verdanken ist das Rappern wie Capital Bra und Ufo361. Was sagt der Verein Deutsche Sprache dazu?
In den neunziger Jahren wurde über das Fehlen von deutschsprachiger Musik in den Charts diskutiert. Sprachlobbyisten, Musiker und Politiker forderten Quoten. Nun scheint ihre Mission erfüllt, wenngleich auf anderem Weg als vor zwanzig Jahren vermutet: Auf den ersten Plätzen der deutschen Charts – also bei Spotify wie auch den offiziellen Single-Charts – findet sich fast nur noch deutschsprachiger Rap, von Musikern wie Capital Bra über Eno und Mero bis Ufo361. Nur ein einziger Titel aus dem Ausland schaffte es Ende der Woche auf die Liste: „Bad Guy“ von Billie Eilish, der 17 Jahre alten amerikanischen Songwriterin, die gerade auf Europa-Tournee war.
Die Datenjournalismus-Website „Einfacher Dienst“ hat aus diesem Anlass analysiert, wie sich der Anteil deutschsprachiger Nummer-1-Hits in den vergangenen Jahren verändert hat. Seit 2016 stieg die Zahl deutscher Hits laut der Erhebung von „Einfacher Dienst“ kontinuierlich an und ist in diesem Jahr so hoch wie nie zuvor. In mehr als 80 Prozent des betrachteten Zeitraums stand ein deutschsprachiger Song an erster Stelle der Deutschen Musikcharts.
Die „Offiziellen Deutschen Musikcharts“ werden im Auftrag des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI) von GfK Entertainment erhoben. Wie ermittelt wird, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verändert. Inzwischen kommt es auf den Umsatz an, nicht etwa auf die Anzahl verkaufter Singles.
Die erfolgreichste Band aller Zeiten in Deutschland, das sind also nach den aktuellen Erhebungen nicht mehr die Beatles, sondern das ist Capital Bra, der Berliner Rapper mit russischen und ukrainischen Wurzeln, der einen Song nach dem anderen produziert und es damit immer wieder an die Spitze der Charts schafft. Ein Affront gegen die englisch geprägte Pop-Rock-Tradition in Deutschland – und die Hüter des Hochdeutschen?
In den Jahren zwischen 2005 und 2008, haben die Datenerheber von „Einfacher Dienst“ festgestellt, war deutschsprachige Musik ähnlich im Trend wie heute, wenn auch mit ganz anderem Fokus – und längst nicht so erfolgreich: Damals hörten die Leute Pop-Bands wie Silbermond und Tokio Hotel, Sportfreunde Stiller und Herbert Grönemeyer sangen zur Fußball-Weltmeisterschaft, und die Quote lag bei 37 Prozent. Zwischen Dezember 2009 und Mai 2012 schafften es offenbar überhaupt keine deutschen Songs in die Spitzenpositionen.
Mitte der Neunziger hatten Liedermacher wie Heinz Rudolf Kunze gefordert, Quoten für die Produktionen deutschsprachiger Künstler einzuführen, von einer „Flut“ fremdsprachiger Musik und „ausländischem Schund“ gesprochen. 2004 brachten die Fraktionen von SPD und Grünen einen Antrag zur „Selbstverpflichtung öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunksender zur Förderung von Vielfalt im Bereich von Pop- und Rockmusik in Deutschland“ in den Bundestag ein, der vom damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse unterstützt wurde. Eine Mehrheit im Parlament nahm den Antrag dann an und legte eine freiwillige Quote von 35 Prozent fest.
Von Veränderung war nicht viel zu bemerken. Noch 2010 forderte der Verein Deutsche Sprache (VDS) mehr deutschsprachige Musik im Radio und empfahl seinen Mitgliedern ein Boykott der Rundfunkgebühren.
Und heute? „Hochinteressant“ und „herzlich willkommen“, sagt VDS-Geschäftsführer Oliver Baer heute, sei diese neue Entwicklung in den deutschen Charts. Von den damals geforderten Quoten halte der Verein ohnehin nicht mehr viel. Eine Arbeitsgruppe Deutsches Radio gebe es zwar noch, aber die habe schon eine Weile nicht mehr aktiv werden müssen. Es gelte das VDS-eigene Motto: „Wir begeistern Millionen Menschen für ihre Sprache“. Und das gelinge den Rappern doch: Mit Sprache zu spielen und Bewusstsein zu fördern. „Die Sprache selbst verändert sich nicht“, sagt Baer. „Wir verändern sie.“ Offenbar am besten rappend.