Zum Tod von Howard Johnson : Schwerkraft, aber bitte sofort!
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Um Mitternacht und danach: Howard Johnson (1941 bis 2021) Bild: Hans Kumpf
Er schuf eines der originellsten Ensembles der Jazzgeschichte und revolutionierte sein Instrument: Zum Tod des Tubaspielers Howard Johnson.
Gewichtig ist alles an ihm gewesen: seine äußere Erscheinung, seine Kreativität, sein Selbstbewusstsein, nicht zuletzt sein Instrument. Howard Johnson hat für den modernen Jazz die Tuba wiederentdeckt, die vom Aussterben bedroht war, nachdem ihr natürlicher Lebensraum, die Straßen und Plätze von New Orleans, für Paraden, Mardi-Gras-Umzüge und opulente Beerdigungen geschrumpft war und der Jazz Einzug in die glamourösen Tanzhallen der Roaring Twenties gehalten hatte. Johnson wusste aber auch, dass das Image instrumentaler Kuriosität, das der Tuba später noch anhaftete, nicht durch musikalisches Understatement, vielmehr durch Übertreibung verändert werden konnte. So schuf er mit „Gravity“ 1968 eines der originellsten Ensembles in der langen Geschichte des Jazz: Mit sechs, bisweilen sogar neun Tubisten in einer Band war es die Unabhängigkeitserklärung von der musikalischen Begleitfunktion und zugleich ein eindrucksvoller Beweis für die Solotauglichkeit des tiefen Blechblasinstruments.
Mit seinem melodischen Tubaspiel und seiner chorischen Besetzung des Instruments hat er zahlreiche Bigband-Chefs auf sich aufmerksam gemacht, die ihn als Komponisten, Arrangeur und Solisten beschäftigten. Johnson war Mitglied der Bands von Duke Ellington, Charles Mingus und Quincy Jones, Solist und Arrangeur für das Jazz Composer’s Orchestra, Charlie Hadens Liberation Music Orchestra, verschiedene experimentelle Ensembles von Gil Evans und bei Carla Bleys aufwendigem Jazzopernprojekt „Escalator over the Hill“.
Spektakulär wirkte seine Tuba-Völlerei mit vier Instrumenten auch bei den Auftritten des Blues-Musikers Taj Mahal im legendären Fillmore East in den frühen siebziger Jahren. Dreißig Jahre später erinnerte Johnson mit den Aufnahmen „Gravity!!!“ und „Right Now!“ noch einmal an diese Auftritte und spielte dabei eine der stimmungsvollsten Interpretationen von Thelonious Monks Klassiker „Round Midnight“ ein.
Nach kurzen Engagements bei populären Produktionen von John Lennon, Marvin Gaye, The Band und B. B. King besann sich Howard Johnson Mitte der siebziger Jahre wieder mehr auf Jazz, schloss sich dem Orchester von George Gruntz, unter anderem für das szenische Oratorium „The Holy Grail of Jazz and Joy“ in Graz, an und verlegte den Schwerpunkt seiner Aktivitäten mehr und mehr nach Europa, wo er mit Peter Herbolzheimer zusammenarbeitete, Schallplatten für Labels wie ECM, ACT und MPS aufnahm, auf vielen Festivals zu hören war und fünf Jahre lang von 1991 an Mitglied der NDR-Bigband in Hamburg gewesen ist.
Howard Johnson war der führende Tubaspieler des Jazz, hat aber seine Karriere, die ihn mit den bedeutendsten Repräsentanten unterschiedlichster Stile – Bebop, Cool, Funk-Jazz und Free Jazz – zusammenbrachte, als Baritonsaxophonist begonnen und auch auf diesem Instrument für Furore gesorgt; etwa 1985 beim Jazzfest Berlin mit seinem Allstar-Ensemble für Baritonsaxophonisten. Am Montag ist Johnson, der aus Alabama stammte, im Alter von neunundsiebzig Jahren in New York gestorben.