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Pete Townshend zum Siebzigsten : Der Windmühlenmann

Ein gereifter Mod: Pete Townshend, wie immer mit raumgreifender Spielweise, bei einem Konzert im Jahr 2004. Bild: dpa

Er wollte sterben, bevor er alt wird. Jetzt feiert Pete Townshend, Gitarrist von „The Who“, seinen siebzigsten Geburtstag. Seine beste Waffe ist immer noch die Gitarre.

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          In der Mitte des Lebens kam Pete Townshend zu einer Erkenntnis: „Nichts ist schlechter als eine zuverlässige Band, in der einer der Musiker stirbt“, schrieb er 1994. Das war seiner Band widerfahren: The Who hatten 1978 ihren Schlagzeuger Keith Moon verloren, durch eine Überdosis Tabletten, mit denen er vom Alkohol loskommen wollte. Das kleinere Übel hatte sich als das Größere erwiesen. Pete Townshend wäre ihm drei Jahre später fast nachgefolgt, mit Heroin. Da schien ihn seine berühmteste Liedzeile eingeholt zu haben, die er 1964 als Neunzehnjähriger geschrieben hatte: „I hope I die before I get old“ – Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde. 1981 war Townshend 36 Jahre alt.

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          Er überlebte. Und lernte daraus, dass das von ihm angenommene kleinere Übel Tod in Wahrheit das Größere gewesen wäre. Denn es sollte mit zunehmendem Alter noch viel Gutes für den Gitarristen kommen: der zweite Sohn, große Tourneen mit The Who, ein kurzfristiges, aber umso eindrucksvolleres Bigband-Projekt namens „Deep End“ zugunsten von Drogenopfern, Musical-Erfolge in London und am Broadway, der Ruhm, mit seinem Gitarrenspiel den Hard Rock begründet zu haben. Heute gilt Pete Townshend neben Paul Weller als einzige auch bei jüngeren Musikern unumstrittene Größe der britischen Rockmusik.

          Kompositionen allein für seine Altersgruppe

          Mehr als das: Er ist deren Personifikation. The Who galten im Gegensatz zu den Beatles und den Rolling Stones als urbritisch. Sie waren in den sechziger Jahren die Lieblinge der Mods, die gegen die amerikanische Rockerkultur ein englisch-chauvinistisches Außenseiterverständnis setzten – und einen Look, den Pete Townshend entscheidend mitprägte. Er war der Einzige unter den vier Mitgliedern von The Who, der sich buchstäblich von Kopf bis Fuß auf die Mod-Kultur einließ, und er war auch der Zornigste des Quartetts. Seine Windmühlenbewegungen beim Gitarrespielen wurden ebenso berühmt wie das Zerschmettern seines Instruments auf der Bühne.

          „The Who“ 1965 in Kopenhagen: Schon bei diesem Auftritt ist Pete Townshend (Zweiter v. l.) durch seine Spielweise unverkennbar.
          „The Who“ 1965 in Kopenhagen: Schon bei diesem Auftritt ist Pete Townshend (Zweiter v. l.) durch seine Spielweise unverkennbar. : Bild: dpa

          Die ersten Riesenhits des jungen Townshend waren schon durch die Titel als Fanale erkennbar: „I Can’t Explain“, „My Generation“, „The Kids Are Allright“. Hier komponierte jemand allein für seine Altersgruppe und deren Lebensstil: Als erster prominenter Rockmusiker überhaupt machte er 1966 seinen Drogenkonsum öffentlich, durchaus mit Stolz. Und ein Jahr danach, als Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones wegen Drogenbesitzes in Haft kamen, verkündete Townshend, dass The Who solange nur noch Stones-Titel aufnehmen würden, bis die beiden Kollegen wieder frei wären. Das geschah so schnell, dass es nur für zwei Lieder gereicht hat.

          Die Gitarre blieb sein Aufputschmittel

          Was der Welt bei einer längeren Haftdauer von Jagger und Richards entgangen wäre? Unter anderem die Rockoper „Tommy“, an der Townshend damals zu schreiben begonnen hatte. Seine Begeisterung für ineinander übergehende Songzyklen hatte er 1966 erstmals umgesetzt, mit „A Quick One, While He’s Away“, einem knapp zehnminütigen Stück aus sechs Liedern. Das war eine Notlösung gewesen, weil die anderen Mitglieder von The Who – Roger Daltrey, John Entwistle und Keith Moon – endlich einmal gleichberechtigt als Songschreiber auftreten sollten. Doch außer Townshend erfüllte niemand das avisierte Pensum, also musste er zuletzt dafür sorgen, dass die neue Platte voll wurde. Das Experiment machte ihm so viel Spaß, dass „Tommy“ schließlich fünfundsiebzig Minuten lang wurde. Das Doppelalbum von 1969 wurde eine solche Sensation, dass The Who das Werk in anderthalb Jahren an die hundert Mal komplett in Konzerten spielten, bevor sie es für fast zwanzig Jahre ganz aus ihrem Repertoire strichen. Townshend aber war nun ein Rockkomponist, dem der Respekt nicht nur seiner Branche, sondern von Musikern aller Art galt. Auf diesen Ruhm reagierte er unwillig und versank in diversen Betäubungsmittelexzessen.

          Seine Gitarre aber blieb ein Aufputschmittel, das ihn immer wieder aus der Lethargie riss. Er spielte sie wie eine Waffe, und diese Aggressivität machte die Auftritte von The Who zu Taktgebern der Rockrebellion. Auch in Woodstock spielten sie, waren aber unter den friedensbewegten Hippies ein Fremdkörper, und Townshend sorgte für einen Skandal, als er einen Bürgerrechtsaktivisten, der den Auftritt von The Who mit einer Rede unterbrach, von der Bühne prügelte.

          Heute wie damals eine Legende an der Gitarre: Pete Townshend (r.) 2015 auf einem Wohltätigkeitskonzert mit Eddie Vedder (l.)
          Heute wie damals eine Legende an der Gitarre: Pete Townshend (r.) 2015 auf einem Wohltätigkeitskonzert mit Eddie Vedder (l.) : Bild: AP

          Die Konzerte, denen durch Messungen bestätigt wurde, die lautesten der Welt zu sein, haben Townshend nicht unberührt gelassen: Seit einigen Jahren ist er abgetaucht, weil sein Gehör schwer geschädigt sein soll. Doch das Bild seiner Auftritte ist unvergessen: Gitarrenspiel mit wild kreisenden Armen, meterhohe Sprünge, eingetretene Lautsprecher. Und gänzlich unvergänglich sind Lieder wie „Substitute“, „Pinball Wizard“, „Give Blood“ oder „Magic Bus“. Heute wird der Mann, der dankenswerterweise doch lieber alt geworden ist, siebzig.

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