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Songs of Gastarbeiter Volume 2 : Der Sound des Ankommens

Unter dem Radar der Mehrheitsgesellschaft: Ata Canani mit einer Baglama auf einer Bühne der alten Bundesrepublik Bild: Trikont

Zuhören, lostanzen: Acht Jahre nach dem Erfolgsalbum „Songs of Gastarbeiter“ von Imran Ayata und Bülent Kullukcu gibt es jetzt die großartige Fortsetzung.

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          Was müssen das bloß für sensationelle Hochzeiten gewesen sein, auf denen Bands wie Derdiyoklar auftraten? Ausgelassen und ein wenig politisch ging es sicherlich zu, und garantiert wurde sehr viel getanzt. Etwas anderes erlaubt die Musik der von Ali Ekber Aydogan und Ihsan Güvercin 1974 in Berlin gegründeten Band nicht. Man lauscht ihr und fängt einen Wimpernschlag später an, sich zu dem Mix aus Disco, Folk, türkischer Volksmusik, Psychedelia und Krautrock zu bewegen, den man der alten Bundesrepublik gar nicht zugetraut hätte. Selbstironisch und unterlegt von einer elektronischen Saz schüttet das Duo im Song „Liebe Gabi“ der „le-le-lieben Gabi“ auf Deutsch und Türkisch seine Herzen aus – offenbar hoffend, sie möge ihr eigenes für die beiden bärtigen Türken öffnen. Statt orientalischer Schmachtballade folgt scharfe Kritik an den damaligen Verhältnissen: „Helmut Kohl und auch Strauss, le-le-liebe Gabi. Wollen Ausländer raus, le-le-liebe Gabi“.

          Ängste, Sehnsüchte und die eigene Geschichte in Songs verpackt

          Karen Krüger
          Redakteurin im Feuilleton.

          Beide Politiker waren sich einig, die als Gastarbeiter aus der Türkei gekommenen Frauen und Männer sollten zurück in ihre Heimat verschwinden. Wo die sich befindet, konnten viele der Menschen da aber schon längst nicht mehr eindeutig beantworten. Sie waren in Köln, Berlin oder Stuttgart heimisch geworden, und heute weiß man, Musik spielte bei diesem Prozess eine maßgebliche Rolle. Sogenannte Gastarbeiter-Bands schufen einen Sound, der die Geschichten, Ängste und Sehnsüchte der Migranten erzählte, Erfahrungen kanalisierte und die schlechten Arbeitsbedingungen anprangerte. Das Lebensgefühl in der Fremde bekam eine Stimme und wurde bei Festen, Hochzeiten und auf politischen Veranstaltungen auf die Bühne gebracht. In der Migranten-Community genossen die Bands dafür ein hohes Ansehen und inspirierten zahlreiche Jugendliche in der nachfolgenden Generation – „Liebe Gabi“ von 1981 wurde auf Kassette weitergegeben, VHS-Aufnahmen von Liveauftritten der Bands später digitalisiert. Die Mehrheitsgesellschaft bekam hingegen von all dem nichts mit, bis der Berliner Autor und Campaigner Imran Ayata und der Münchner Künstler Bülent Kullukcu Ende 2013 das Album Songs of Gastarbeiter Volume 1 mit Liedern der ersten türkischen Einwanderer herausbrachten.

          Riesiger Fundus an Material

          Es verhalf dem anatolischen Discofolk zu einem Revival, veränderte radikal das Bild von den ersten Migranten und brachte einigen Musikern späten Ruhm. Acht Jahre später ist jetzt Songs of Gastarbeiter Volume 2 erschienen, wieder beim Münchner Label Trikont. Die Auswahl der Lieder ist wunderbar, Ayata und Kullukcu müssen sich durch einen riesigen Fundus an Material gehört haben.

          Endlich im Handel: Songs of Gastarbeiter Volume 2 (Trikont)
          Endlich im Handel: Songs of Gastarbeiter Volume 2 (Trikont) : Bild: Trikont

          Anders als bei der ersten Ausgabe enthält die Compilation nicht nur Songs von Migranten aus der Türkei. Sie sind zwar stark vertreten durch Derdiyoklar, Akbabalar Ikilisi, Yüksel Özkasap (auch bekannt als Nachtigall von Köln), den kurdischen Sänger Ali Baran und die für ihre politische Musik bekannte Sängerin Asik Sah Turna. Diesmal gibt es jedoch auch Rhythmen spanischer und griechischer Gastarbeiter-Bands sowie „Cherie“ des Kambodschaners Sonny Thet, der 1971 in der DDR zusammen mit Christoph Theusner die Band „Bayon“ gründete. Ihr Sound verwebt asiatische Klänge mit Rock- und Jazzmusik. Der DJ und Musikproduzent Shantel hat für das Album ein Re-Edit von Ata Cananis „Alle Menschen dieser Erde“ geliefert und ein melancholisches 1.-Mai-Lied mit der griechischen Band Prosechòs aufgenommen. Die früher in Frankfurt lebenden Musiker hatten den Song vor vier Jahrzehnten im Auftrag des DGB geschrieben, aber kaum noch jemand erinnerte sich an ihn.

          Das Beiheft des Albums erzählt alles über die Bands, enthält aber keine Übersetzungen der Lyrics. Allein um die großartige Musik soll es gehen; um ihre Rhythmen und das ihr innewohnende Lebensgefühl. Wer sich darauf einlässt, wird riesigen Spaß haben. Und danach ein tieferes Verständnis dafür, was Deutschsein und Deutschland alles bedeutet und welche Musik auf einer guten Hochzeit keinesfalls fehlen sollte.

          Songs of Gastarbeiter Vol. 2 erscheint bei Trikont.

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