Sias Musicalfilm „Music“ : Zum Frühstück brate ich mir einen Rhythmus
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Kate Hudson als Zu, bevor sie die Nachbarschaft aufmischt Bild: AlamodeFilm
Im ersten Film der Popmusikerin Sia sollte es um ein autistisches Kind gehen. Das wird auf halbem Weg vergessen. Dafür läuft er über vor Klischee.
Das Mädchen namens Music hat lange braune Haare und riesige blaue Augen. Jeden Morgen brät ihre Großmutter zwei Eier. Music setzt auf dem Teller aus Ketchup ein Lächeln dazu, breit wie ihres. Zur Melodie aus ihren Kopfhörern gluckst sie leise, nickt im Rhythmus, dann begibt sie sich auf ihren täglichen Spaziergang zur Bibliothek. Sie überquert die Straße, blickt in den wolkenlosen Himmel, den Vögeln nach. Für einen kurzen Moment entspannt sich ihr Gesicht.

Redakteurin im Feuilleton.
Aber wenn etwas anders läuft, als sie es gewohnt ist, wenn es zu laut um sie wird oder zu voll, wenn die Menschen in ihrer Nähe Unruhe zeigen, bekommt sie Panik. Sie spürt Nuancen in ihrem Verhalten. Sie hört das nervöse Rascheln, riecht die Angst, fühlt die Stille nach dem Streit. Ihre Panik zeigt sich vorerst nur am Flackern ihrer Augen. Wenn sie um sich schlägt, muss man sie packen und umarmen, sagt der Nachbar. Es gibt ihr Sicherheit.
Die hellste Stimme seit Dido
Einige Kontroversen sind dem am Freitag bei Vertical Entertainment im Netz veröffentlichten Film „Music“ vorausgegangen, von denen man sich keinen Werbeeffekt erhoffte. Es ging um die Vergabe der Rolle des autistischen Mädchens an eine nicht autistische Tänzerin und die merkwürdig schroffe Reaktion der Regisseurin auf die Kritik, bei der es sich um die Popkünstlerin und Songwriterin Sia Furler handelt. Sia ist die hellste Stimme seit Dido, aber eine vom Leben gezeichnete. Ihre Hits sind extrem erfolgreiche Radiosongs wie „Cheap Thrills“ und „Chandelier“, das Image dazu bietet Unmengen an Stoff und extravagante Perücken, ein Schutz vor großer Schüchternheit, wie sie seit Jahren erklärt. Es gibt kunstvolle pudelige Aufnahmen von ihr, Haarflocken, die ihr Gesicht bis zur Nase bedecken. Jetzt also ist Sia auch Regisseurin und Ko-Autorin eines Films über eine autistische junge Frau.
Aber beginnen wir mit dem Positiven, der Musik, denn der Film ist ein Musical, obwohl es ursprünglich anders konzipiert war, was im Rückblick undenkbar scheint. Das Album, das Sia um den schon 2017 begonnenen Dreh herumkomponiert hat, ist wild und schön. Hypnotische Ohrwürmer sind dabei, Schaumwein-Ermutigungen wie „Together“, auch ernste wie „Courage to Change“, die für einen Moment die weniger primärfarbene amerikanische Realität durchscheinen lassen, lyrisch und musikalisch anspruchsvolle Stücke wie „Oblivion“. Es klingt nach Destiny’s Child und Synthie und Reggae und Hiphop, dazu ein Trommeln, ein Säuseln von Flöten, die unverkennbare Stimme. David Guetta hat einen Song produziert, Pink und Dua Lipa haben Stücke geschrieben. Sia, die von Britney Spears über Diplo bis zu The Weeknd schon die halbe Popwelt aus Kooperationen kennt, hat immer einen Produzenten zur Hand, der alles richtig macht.
Zehn Songs des Albums sind in den Film eingegangen, wobei sie eigentlich kein Teil von ihm sind, eher showhafte Unterbrechungen, in denen die Protagonisten, darunter Sias langjährige Tänzerin Maddie Ziegler, Darstellerin von Music, mit expressiver Mimik in aufwendig ausgestatteten Räumen durcheinandertanzen und singen. Wie für Sias Musikvideos üblich, entwickeln die Choreographien einen roboterhaften Rhythmus, als stünden die Tänzer unter fremder Kontrolle, was durchaus symbolisch zu verstehen ist. Aber bei dem Gedanken, diese stolpernden Körper, aus vibrierenden Bällen ragenden Köpfe und Quastentiere bildeten die Gedankenwelt eines autistischen Kindes ab, kann einem unwohl werden. „Come take a trip into my magic mind“, singen sie, und man wird das Gefühl nicht los, vielmehr in die bunt-verzerrte Welt einer Drogenerfahrung zu blicken.