Hommage an Patti Smith : Rock ’n’ Rimbaud
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Patti Smith beim Primavera Sound Festival in POrto Bild: dpa
Die große amerikanische Sängerin Patti Smith kommt zum vierzigjährigen Jubiläum ihres legendären Debüt-Albums „Horses“ auf Tournee nach Deutschland. Eine Würdigung der Gralshüterin des Rockideals.
Das letzte Mal gesehen hab’ ich sie im Oktober 2014. Als Patti Smith mit ihrer Tochter Jesse Paris Smith und dem New Yorker Soundwalk Collective die Nico-Tribute-Performance „Killer Road“ an der Berliner Volksbühne aufführte, war es, als wäre eine Königin heimgekehrt.
Nicht nur das Publikum, das Haus selbst, auf dessen Bühne sie im Halbdunkel stehend letzte Gedichte der vor der Zeit verstorbenen Velvet-Underground-Sängerin vortrug, von Videos und Fieldrecording-Collagen in Szene gesetzt in die Texte hinabstieg wie in Totenreiche, schien nur auf sie gewartet zu haben.
Die Gralshüterin eines schamanistischen, dem Glauben an das Heilende, Rettende der Musik verpflichteten Rockideals hatte zu einer Séance geladen, die die autoaggressiven Trancebemühungen vergangener Castorf-Schlingensief-Vinge-Inszenierungen aussehen ließ wie unaufgeräumte Kinderzimmer. Mami’s back.
Mit ihren kunstvoll entwickelten Rezitativen erinnerte Smith an diesem Abend an ein Versprechen, durch das die Volksbühne stilbildend zum Wallfahrtsort eines postdramatischen Exorzismus avanciert war: Die Erlösung des Sprechtheaters aus dem Geist des Rock ’n’ Roll.
Allerdings stand die Musikerin damit auch für ein Menschenbild ein, zu dessen Vorstellungen von „Seele“, „Selbst“, „Liebe“, „Wahrheit“ und dergleichen die Zauberlehrlinge der Postmoderne bis zur Denunziation auf Distanz gegangen waren. So lange, bis ihr emanzipatorischer Elan die Bühne zum Bootcamp für durchtrainierten Selbstbezichtigungsklamauk runtergerockt hatte.
Die treuhänderische Enteignung und Abwicklung des Ostberliner Voodootempels zum gutvernetzten Sammelsurium sozialdemokratischer Gleichschaltungsphantasien erscheint folgerichtig, ist aber eine andere Geschichte, die demnächst als Rührstück vom Ende einer Ära unter Krokodilstränen aufgeführt wird. Motiv: Kunsthass. Titel: „Weltkulturerbe in der Hand von Terroristen. Oder: Denn sie wissen nicht, was die Arbeit ist.“
Durch lyrische Unterwelten
An diesem Abend war die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz noch einmal der ideale, von Geist wie Spirit getragene Raum für die Smithschen High-End-Meditationen zum Thema „Circle of Life“. Von Möwengeschrei und Meeresrauschen, Windspiel- und Waterphoneklängen begleitet, folgte man der Sängerin gebannt durch die lyrischen Unterwelten ihrer Kollegin Nico.
Am Ende der knapp anderthalbstündigen Nachtmeerfahrt, die letzten Mantren und Soundwellen waren verklungen, herrschte für einen langen Moment Stille im Theaterraum. Niemand wagte zu klatschen. Als wäre es Frevel. Dann der erst schüchterne und gleich darauf brandende Applaus des wie aus Hypnose erwachten Publikums, und unter den stehenden Ovationen verließ Smith mit ihren Begleitern ein letztes Mal winkend die Bühne.
Von Sam Cooke heißt es, er habe ein Kompliment zur Schönheit seines Gesangs dankend mit dem Hinweis zurückgewiesen, man solle die Qualität einer Stimme nicht nach ihrem Wohlklang, sondern danach beurteilen, ob sie uns glauben mache, dass sie die Wahrheit sage. Wenn Patti Smith in diesem Sommer zum 40-jährigen Jubiläum ihres Debüt-Albums „Horses“ mit ihrer Band auf Tournee geht, wird man sich nirgends besser von der Gültigkeit des Cookeschen Diktums überzeugen können.
Ob mit ihrem an amerikanischer Beatliteratur, Bob Dylan und Jim Morrison geschulten Deklamationsstil, dem atemlos-treibenden Sprechgesang, ihren wehmütig-hymnischen Chants und Wiegenliedgesängen oder den maximal druckvollen Shouts einer wütenden Squaw: Smith’ Vokalkunst ist reinste Überzeugungskraft. Oder anders gesagt: Von Patti Smith lernen heißt singen lernen.