Rolling Stones in Berlin : Als wär’s das letzte Mal
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Fit im Glitzer-Jackett: Mick Jagger Bild: REUTERS
Sachbeschädigungen: Fehlanzeige. Feinster Rock’n’Roll: jede Menge. Die Rolling Stones spielen die Berliner Waldbühne bei brütender Hitze in Grund und Boden.
Ein alter Mann schlurft, unter vielen anderen älteren Herrschaften, in brütender Hitze zum Schauplatz eines schon lange bekannten, aber immer wieder sensationellen Geschehens. Unterwegs lässt er sich mit einem der hier noch Eintrittskarten Feilbietenden auf ein Wortgefecht ein: „Ich war hier 1965, da kostete das noch zwölf D-Mark. Zwölf D-Mark!“ The times they are a-changin’.
Mehrere, die auch hier herumschlurfen, tragen passende Gedächtnis-T-Shirts: die Rolling Stones am 15. September 1965 in der Berliner Waldbühne. Das Lied „Satisfaction“ gab es damals schon; alle anderen Titel, die hier in den nächsten zwei Stunden mit sagenhafter Energie präsentiert werden, noch nicht.
Mick Jagger „looks younger than ever“
Wie war das vor bald fünfzig Jahren, als die Rolling Stones hier auch schon auftraten, mit einem naturgemäß noch sehr beschränkten Repertoire? Es ging allerhand zu Bruch. Das tut es an diesem Juni-Abend nicht. Die Stimmung unter den einlaufenden Zuhörern ist behäbig-lässig; das ist dem Wetter, aber auch dem Alter geschuldet: kaum junge Leute. Was machen die an so einem Abend? Fleißig twittern? Chillen? Mick Jagger, der hier gleich im Glitzer-Jackett herumstolzieren und sich die Lunge aus dem Leib singen wird, dürfte einer der Fittesten sein.
Und dann, fast auf die Minute pünktlich, kommen sie: Ladies & Gentlemen, the Rolling Stones. Zum Aufwachen aus der trägen Döserei gleich mal „Start Me Up“, mit dreiunddreißig Jahren einer der jüngsten Titel. Mick Jagger looks, wie Freddie Frinton („Dinner For One“) sagen würde, younger than ever. Für die Gitarristen gilt das nicht, dafür gniedeln sich Keith Richards und Ronnie “immer noch der Neue” Wood aber im Laufe des Abends wieder einmal in den Rock-Olymp; desgleichen natürlich der ewig stoische, extrem verlässliche, lässig-wuchtig auf sein Schlagzeug draufhauende Charlie Watts.
Ein Lied für den Flughafen
„Hey, hey, you got me rockin’”, röhrt Jagger als nächstes, dann kommt schon „It’s Only Rock’n’Roll (But I Like It)”, dann “Tumblin’ Dice” und und und. Zwischendurch ist Zeit, sich auf Deutsch radebrechend über den nicht fertig werdenden Flughafen lustig zu machen – Jagger widmet „Waiting On A Friend“ zum Gaudi der Zuhörer BER –, britische Freundlichkeiten über den deutschen Fußball einzustreuen und ansonsten zu rocken, was das Zeug hält.
Wer damals, 1965, dabei war, dürfte Gekreische und Sachbeschädigung zu nicht sonderlich gut zu hörender „Beat“-Musik zur Kenntnis genommen haben. Was hier nun, an diesem Abend vor sich geht, ist ein exzellentes Rockgewitter, aus dem die langen Epen „Midnight Rambler“, „Sympathy for the Devil“ und „You Can’t Always Get What You Want“ herausragen – wenn man von „herausragen“ bei einer solchen – der größten aller Zeiten! – Band mit einem solchen Songkatalog überhaupt sprechen kann.
Auch wenn die körperliche und spielerische Fitness der Rolling Stones absolut nichts zu wünschen übrigließ, muss man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass es allzu viele Rolling-Stones-Waldbühnen-Konzerte wohl nicht mehr geben wird. Dieses hier wird wohl, dem Jubel nach zu schließen, in die persönliche Erlebnisgeschichte der allermeisten, wie gesagt: durchweg schon recht betagten Zuhörer eingehen. In der proppevollen S-Bahn zurück in der Stadt machte dann „huu-huu-huhuhuhuhu“ die Runde, der Quasi-Refrain von „Miss You“. Man hörte an diesem Abend insgesamt: Weltkulturerbe in seiner bezwingendsten Form.