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Populäres Instrument : Über die Ukulele machen sich nur Banausen lustig

  • -Aktualisiert am

So süß und gleichzeitig so alt ist diese Szene: In „Manche mögen’s heiß“ spielt Marilyn Monroe die Ukulele. Bild: Picture-Alliance

Das Instrument für den herrschaftsfreien Diskurs: George Harrison meinte, niemand könne die Ukulele spielen, ohne zu lächeln. Auch die übrigen Beatles waren Fans. Über den unaufhaltsamen Aufstieg eines Viersaiters.

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          Sie wurde von Königen gerühmt und von Witzbolden verhöhnt, in den zwanziger und dreißiger Jahren von Millionen geliebt und dreißig Jahre später fast vergessen. Doch mit ihrem speziellen Charme konnte die Ukulele unglaubliche Widerstandskraft entwickeln. Immer wenn man glaubte, der kleine Viersaiter hätte sich endgültig überlebt und tauge nur mehr als historisches Relikt oder Sperrholz-Spielzeug im Kinderzimmer, tauchte die Ukulele triumphaler denn je wieder auf.

          Einen neuerlichen Durchbruch erlebte die Ukulele am Thanksgiving Day 1995. ABC sendete die dritte Folge der Beatles-Dokumentation „Anthology“. In der von George, Paul und Ringo selbst verantworteten Biographie der Band sind die drei, völlig entspannt, auf einer Rasenfläche von Harrisons Anwesen Friar Park in Henley-on-Thames zu sehen, George Harrison und Paul McCartney spielen auf einer Ukulele Standards und Lieblingslieder. Bis zur Ausstrahlung dieser Filmographie war der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass die Beatles und die Ukulele schon seit Jahren eine heimliche Liebesbeziehung verband. Ein deutlicher Hinweis auf diese lange verschwiegene Affäre findet sich in dem Song „Free As A Bird“, der als „neuer“ Beatles-Song die „Anthology“-Reihe krönen sollte. Ganz am Ende schmuggelte George Harrison mit dem Zitat des berühmten Ukulele-Solos aus „When I’m cleaning Windows“ seinen ganz persönlichen, kleinen Tribut an George Formby, den Comedy-Helden seiner Jugend, ein. Lennon rezitiert dazu rückwärts (!) Formbys wohl berühmtesten Slogan „It’s turned out nice again“, mit dem der Komödiant seine Bühnenprogramme oft begann.

          Hollywood ist großer Fan des kleinen Instruments: Szene aus „Ich heirate meine Frau“ (1956) Bilderstrecke
          Hollywood ist großer Fan des kleinen Instruments: Szene aus „Ich heirate meine Frau“ (1956) :

          Die Reaktionen auf diese Ukulele-Sequenzen waren frappierend: Plötzlich galt die lange nicht ernst genommene Ukulele als „cool“. Die Beatles hatten sie nicht nur als ein vollwertiges Musikinstrument rehabilitiert, sie signalisierte im völlig entspannten Miteinander der überlebenden drei Optimismus und gute Laune. Fast über Nacht gingen die Verkaufszahlen von Ukulelen nicht allein in Amerika in die Höhe. Die Firma Martin Guitars verbuchte seit Jahren erstmals wieder kontinuierlich steigende Umsätze der lange stiefmütterlich behandelten Viersaiter. Auch die in Honolulu beheimatete, renommierte Werkstatt Kamaka konnte sich keinen besseren Werbeträger als George Harrison wünschen. Weltweit entdeckten in den Folgejahren Heranwachsende den Reiz der Ukulele neu.

          Nach dem Abendessen wurden die Ukulelen hervorgeholt

          Vielleicht liegt ihr Charme in ihrem „demokratischen Charakter“ begründet: Jeder kann sie nach kurzer Zeit spielen, jeder kann durch die Ukulele zum Hobbymusiker werden. Ihr fröhlicher Grundton, der charakteristische „Plinky“-Sound - perkussiv und warm zugleich -, bringt die Leute zum Lächeln. Sie erweist sich daneben als außerordentlich vielseitig: Stücke von Bach über die Beatles bis zu den Sex Pistols oder Metallica lassen sich auf ihr mühelos interpretieren. Viele Rockgitarristen haben auf der Ukulele begonnen und nutzen sie bis heute als Zweitinstrument, von Tom Petty über John Mayall und Neil Young bis Brian May und Eddie Vedder.

          Auch die Beatles waren seit ihrer Jugend bekennende Ukulele-Fans. Der Skiffle-Boom, der 1956 die englischen Teenager elektrisierte, hatte plötzlich ein Instrument in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, das als Banjolele - ein viersaitiger Hybrid aus Banjo und Ukulele - bekannt war. Sie gehörte zu einer echten Skiffle-Band ebenso zwingend dazu wie die Gitarre, das Waschbrett oder der Teekisten-Bass. „Skiffle“ war ein Kompromiss: Weniger konfrontativ als Rock’n’Roll, weniger rasant und nicht mit Sex- und Gewalt-Gesten kokettierend, wirkte Skiffle nicht sonderlich beunruhigend auf britische Eltern. John Lennon war im Herbst 1955 von Lonnie Donegans „Rock Island Line“ begeistert und witterte hier eine unverhoffte Chance: Skiffle war einfach gestrickt und doch so eindringlich, dass sich die Gründung einer Skiffle Group geradezu aufdrängte.

          Später erinnerte sich John für das mantra-artige Mitsingstück „All Together Now“ vom „Yellow Submarine“-Soundtrack wieder seiner Ukulele-Fertigkeiten. Obwohl oder vielleicht gerade weil diese Phrase einem banalen Klischee huldigt, wurde das Stück in den Siebzigern eine beliebte Stadion-Hymne englischer Fußballfans in den Halbzeit-Pausen. Doch damit hatte sich das Thema während der aktiven Beatles-Zeit keineswegs erschöpft: „Wild Honey Pie“ vom „Weißen Album“ kommt als eine Sing-Along-Nummer daher, die Paul McCartney in Indien eingefallen war. Erst sein Ukulelespiel verleiht der schlichten Melodie Schubkraft. McCartney erinnert sich: „Manchmal, nach einem Abendessen in Georges Haus, wurden die Ukulelen hervorgeholt. Einmal, es ist noch nicht so lang her, jammten wir ein bisschen, und ich sagte: Es gibt ein Lied, das ich jetzt auf der Ukulele spiele. Ich führte es ihm vor, und jetzt spiele ich es für euch als Widmung an unseren wunderbaren Freund.“ Mit diesen Worten leitete Paul am 2. November 2002 in der Londoner „Royal Albert Hall“ beim „Concert for George“ seine Ukulele-Version von Harrisons „Something“ ein. Er spielte dieses Stück auf jener „Kamaka“-Ukulele, die Harrison ihm achtunddreißig Jahre zuvor geschenkt hatte.

          Eskapismus und Romantik

          Der Geburtstag der Ukulele lässt sich datieren: Am 23. August 1897 landete nach viermonatiger Reise die Ravenscrag, ein Schiff von Madeira, Portugal, mit 419 Immigranten an Bord, im Hafen von Honolulu, Hawaii. Mit dabei auch der Musiker João Fernandes, der das traditionelle portugiesische Saiteninstrument Machête im Gepäck hatte. Zur Feier der Anlandung sang er dazu ein paar Lieder und verzauberte die Hawaiianer mit seiner Fingerfertigkeit. Das kleine Instrument wurde von den Hawaiianern bald als „hüpfender Floh“ (’ukulele) adaptiert - aufgrund der auf dem kleinen Griffbrett herumhüpfenden Finger des Spielers. Die Königin Lili’uokalani gab noch eine andere, poetische Erklärung: Der Name setze sich aus den hawaiianischen Wörtern „uku“ (Geschenk) und „lele“ (kommen) zusammen.

          Erste Ukulele-Bauer wie Manuel Nunes, Jose do Espito Santos oder Augusto Dias ließen sich auf Hawaii nieder und bauten aus dem einheimischen Koa-Holz, das wegen seines überragenden Klangvermögens und seiner ästhetischen Maserung zum Holz der Wahl wurde, die ersten Ukulelen. Manuel Nunes gilt als der Erfinder der Sopran-Ukulele und begeisterte damit sogar den hawaiianischen König David Kalakaua. Der wurde bald zum größten Förderer des kleinen Instruments, das zunehmend zur Begleitung des traditionellen Hula-Tanzes eingesetzt wurde. Seine Schwester Queen Lili’uokalani avancierte bald zur größten Ukulele-Spielerin ihrer Zeit. Ihr populärer Song „Aloha Oe“ wurde später von Elvis Presley in dem Film „Blue Hawaii“ gesungen.

          Bis heute verkörpert die Ukulele das mentale Konzept des hawaiianischen „Aloha“, das mit Freundlichkeit, Freizügigkeit und Offenheit assoziiert wird. In ihren Anfängen erzählte das Instrument von Freizeit, Freiheit und Spaß. Es war die Verheißung von Liebe, sexuellen Abenteuern, Spontaneität und besseren Zeiten. Die Ikonographie früher Ukulele-Bilder aus den zwanziger Jahren mit ihren kleinen Booten, den Baströcken der Hula-Tänzerinnen, Mondschein, Strand und Felsen am Meer stand für Eskapismus und Romantik.

          Eine nie dagewesene Anhängerschaft

          Heute kann man das Instrument praktisch überall hören: Sein „happy sound“ hat etwas Gemeinschaftsstiftendes, er bringt Menschen zusammen. Weltweit jammen Fans in Workshops, Clubs, Bands und Vereinen. Lebenslange Freundschaften werden durch gemeinsames Ukulele-Spiel geschlossen. Leichthändig kann sich die Ukulele jeden musikalischen Stil anverwandeln: vom Trendsetter im Independent-Rock bis zu den Top-Ten-Pop-Songs, von der Werbung bis zu Youtube-Megahits. Das Medley „Somewhere Over The Rainbow/What A Wonderful World“ vom schwergewichtigen Israel Kamakawiwo’ole (IZ) dominierte selbst in Europa monatelang die Hitparaden. Heranwachsende greifen sich die Ukulele wegen ihrer „Niederschwelligkeit“. Versierte Gitarristen entdecken die Ukulele, weil sie mit ihrer kürzeren Mensur erlaubt, über sieben, acht Bünde zu greifen, völlig unorthodoxe Akkorde und neue voicings zu spielen. Zudem bietet sie unerhörte technische Möglichkeiten für kombinierte Akkord-, Solo- und Bassbegleitung, die auf der Gitarre so nicht funktionieren können. Als Lehrinstrument an Musikschulen läuft die Ukulele der Blockflöte inzwischen den Rang ab. Kinder können mit ihr schneller als mit jedem anderen Instrument Erfolgserlebnisse beim Musikmachen verbuchen. Selbst die unmusikalischsten Erwachsenen erzielen nach kurzer Zeit auf ihr annehmbare Klänge.

          Kein anderer Musiker repräsentiert heute den Ukulele-Boom besser als Jake Shimabukuro. Das Kind einer hawaiianischen Mutter und eines japanischen Vaters bekam im Haushalt der Eltern als Kind ständig Beatles-Songs zu hören. Bereits mit vier Jahren schenkte seine Mutter ihm eine Kamaka-Ukulele, Shimabukuro entwickelte sich bald zum größten lebenden Ukulele-Virtuosen. In seinem Spiel kombiniert er Jazz, Blues, Rock, Funk, Bluegrass, Folk, europäische Klassik und Flamenco. Seinen Durchbruch erzielte er 2006 mit einer Live-Aufnahme von Harrisons „While My Guitar Gently Weeps“ im New Yorker Central Park, die bis heute bei Youtube mehr als dreizehn Millionen Klicks generiert hat.

          Tausende von Ukulele-Clubs organisieren sich inzwischen über soziale Netzwerke; Noten und Tabs von Hunderten Ukulele-Songs sind kostenlos verfügbar. Eine nie dagewesene Fülle von Unterrichtsmaterialien überschwemmt den internationalen Musikmarkt. CDs und DVDs werden von aufstrebenden Aficionados im Eigenvertrieb über das Netz angeboten. Und alle namhaften Gitarrenhersteller von Fender über Martin, Gibson, Collings, Breedlove, Taylor, National und viele andere haben inzwischen ein wachsendes Sortiment in ihrem Programm. Auf Musikmessen und in Fachgeschäften ist inzwischen die Ukulele-Abteilung oft größer als die Abteilung für akustische Gitarren. Die ursprünglich viersaitige Sopran-Ukulele hat sich längst in eine Vielzahl von Modellen ausdifferenziert: Da gibt es Concert-, Tenor- und Bariton-Ukulelen, E-Ukulelen (Brett- versus. Halbresonanz-Korpus), Maccaferri- und Archtop-Jazz-Ukulelen, Harp-Ukulelen, Lap-Steel-Ukulelen, die Guitarlele, die Banjolele, die Konalele, vier-, fünf-, sechs- und achtsaitige Instrumente.

          Gefestigte Ich-Identität

          Ein wichtiger Meilenstein für die Popularisierung der Ukulele in Europa war zweifellos die Gründung des Ukulele Orchestra of Great Britain im Jahr 1980. Alles fing ganz harmlos an. Dem Gründer George Hinchliffe gelang es spielerisch leicht, das achtköpfige Kollektiv innerhalb weniger Monate in den Programmen der BBC zu etablieren. Inzwischen ist das Orchester fast eine nationale Institution. Seine mixed programs versöhnen Formby-Hits mit Beethoven, Nirwana, Spaghetti-Western-Melodien, Punk-Klassikern, James-Bond-Themen, Bach-Partiten und Heavy-Metal-Stücken. In Deutschland wurde die Ukulele in den vergangenen zehn Jahren vor allem durch Entertainer wie Stefan Raab oder Götz Alsmann rehabilitiert.

          Die Ukulele kann sogar als das Musikinstrument des herrschaftsfreien Diskurses, als der Wegbereiter zwangloser Kommunikation verstanden werden. Es stiftet beinahe anstrengungslos soziale Beziehungen, fördert Rücksichtnahme und Respekt, stabilisiert Selbstwertgefühle und kann aufgrund schneller Erfolgserlebnisse zur Herausbildung einer gefestigten Ich-Identität beitragen. Zusammenschlüsse von Ukulele-Begeisterten - das haben jüngst Sozialforschungen in Amerika gezeigt - münden fast zwangsläufig in eine demokratische Struktur. Und zunehmend verdrängt die Ukulele auch die Klampfe, die günstige, mobile Akustikgitarre, von den Campingplätzen und aus den Parks. Auf Heavy-Metal-Festivals wie dem Wacken-Open-Air interpretieren inzwischen Besucher die Hits ihrer Metal-Heroen auf Ukulelen, am liebsten im provokanten rosa Hello-Kitty-Design.

          Ein Jahr vor seinem Tod hatte George Harrison die Anziehungskraft des kleinen Instruments noch einmal hervorgehoben: „Jeder sollte eine Ukulele besitzen und sie spielen. Sie lässt sich so einfach überall mit hinnehmen und ist ein Instrument, das man nicht spielen kann, ohne zu lächeln! Sie ist so süß und gleichzeitig so alt. Ich habe noch nie einen Ukulele-Spieler kennengelernt, den ich nicht auf Anhieb mochte.“

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