Popmagazin : Wie wir „Spex“ zerstört haben
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Seit 1980 wirft „Spex“ einen politischen Blick auf Pop-Phänomene. Jetzt zieht sie um - ohne die komplette bisherige Redaktion. Dietmar Dath, selbst einmal „Spex“-Chefredakteur, über ein weiteres Ende des Magazins für Witz, Pop, Stunk und Überheblichkeit.
Mitte 2004 fing es schließlich an, lästig zu werden, daß man als ehemaliger verantwortlicher Redakteur der Kölner Monatszeitschrift „Spex“ bei jeder Erstbegegnung mit freien Musikjournalisten, Werbetanten der Plattenindustrie, DJs und unabhängigen Filmfestivalorganisatoren schulterklopfende Glückwünsche des immergleichen Wortlauts abwehren mußte: „Na, du bist ja noch rechtzeitig abgehauen“, „Boah, das muß so kaputt sein, für diesen Münchner Typen zu arbeiten.“ Gemeint war die Arbeitssituation in einer Redaktion, die zur unheimlichen Wirkung des eigenen Namens in einem respektvollen, durch komplizierteste Nachfolgeverschlingungen vermittelten Verhältnis stand.
Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre gab es in Deutschland (wie zuvor in England und Amerika) eine Handvoll junger Publizistinnen und Publizisten, die der Blitz des Einfalls streifte, man könne in den Hervorbringungen kulturindustrieller Randzonen - etwa kleiner Plattenfirmen - eventuell mehr kulturelle Wirklichkeit, mehr wertvollen Dreck, mehr zuckendes Feuer zu fassen kriegen als beim Durchnudeln der gängigen Feuilletonthemen. Ein paar dieser vifen Geschöpfe, darunter Dirk Scheuring und Clara Drechsler, fanden in Köln zueinander und brachten im September 1980 die erste „Spex“ heraus.
Was den Anfang ausmachte
Was darin stand, begriff kein Mensch; aber daß es todernst gemeint war und von extremem Dazwischenquatschbedürfnis gepeitscht, schrie der Welt daraus entgegen. Welch immense Wohltat so etwas zu einer Zeit gewesen sein muß, da jede einigermaßen interessante Lebensäußerung vom schleichenden Gift der totalen Dialogbereitschaft betulich linksliberaler „Demokratenspinner“ (Drechsler) zugekleistert wurde, könnte angemessen nur beschreiben, wer mit den Engelszungen des jungen Rainald Goetz zu reden versteht. Auch er war bald dabei, wie Diedrich Diederichsen, Jutta Koether, Andreas Banaski (“Kid P.“) und andere Leute, die bewiesen, daß man über Popmusik (und überhaupt alles andere) entgegen allen journalistischen Benimmregeln der Altvorderen schreiben darf, wie man will, wenn man's kann.
Eine Festanstellung im bürgerlichen Sinnbetrieb strebte niemand der damals Beteiligten an; man behielt sich vor, Interessen, Absichten und Gesten zu wechseln, wenn sie einmal nicht mehr brannten. So wurden aus Redaktionsmitgliedern schließlich vom Hauptgeschehen abdriftende Hausgeister und Herausgeber. Jüngere rückten nach, rissen ab oder bauten um, was sie vorfanden, und die Zukunft schien als stete fleißige Vernichtung der Vergangenheit und mithin permanente Herstellung absoluter Gegenwart auf unabsehbare Zeit gesichert.
Warum ich mein Heil in der Flucht suchte
„Spex“ hat bewirkt, daß man über bestimmte Themen heute in Deutschland ein bißchen weniger ahnungslos schreibt als vorher; aber dafür oft auch verbiesterter und geschmackslehrmeisterlicher. „Spex“ ist schuld, daß ein paar Autorinnen und Autoren bei schlechtester Bezahlung ihren Beruf lernen konnten, die danach unterschiedliche, mehr oder weniger auskömmliche, mehr oder weniger erwachsene Standbein-Spielbein-Kompromisse eingegangen sind, um ihren sich wandelnden Schreibhaltungen Rechnung zu tragen. Ich zum Beispiel bin zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegangen, nach einem Jahr freien Geschreibsels, das mit meinem Ausscheiden als Verantwortlicher aus der „Spex“-Redaktion im Jahr 2000 begann. Damals starb das Konstrukt „Getragen wird die Zeitschrift von ehemaligen Redaktionsmitgliedern“; die Herausgeberaufgabe erwies sich als zu riskant, um sie weiterhin als Liebhaber-Nebentätigkeit verdienter Ehemaliger verantworten zu können.