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Pop-Anthologie (140) : Jetzt musst du fliegen

Eigentlich ist sie ein Inbegriff kalifornischer Popmusik, hier wirbt sie für New Orleans: Die Band It’s a Beautiful Day 1972 Bild: Mauritius

Die Gruppe It’s a Beautiful Day zählt zu den Pechvögeln der Pop-Ära um 1967. Ihr melancholisches Lied „White Bird“ wurde trotzdem zu einer Hymne des fortdauernden Hippiesommers.

          4 Min.

          Die Band hieß It’s a Beautiful Day. Das passte zu Kalifornien im Allgemeinen, wo die Mitglieder lebten, es passte im Besonderen zum Hippie-Summer-of-Love des Jahres 1967, als die Formation sich gründete. Auch dazu, dass standardisierte Bandnamen – The Platters, The Everly Brothers – nun durch surreal verrätselte Erfindungen abgelöst wurden. Jefferson Airplane (als Imperativ zu übersetzen, dann ergibt sich der Sinn: Heb ab!) genoss damals große Autorität, hier also hieß es sinngemäß: Schöner Tag an der Westküste heute, entspann dich. Darin lag ein Versprechen, wie überhaupt das Jahr ’67 ein unendliches Versprechen gab. Aber es wurde nicht gehalten, aus der Gruppe wurde einer der wenigen echten Pechvögel dieser Jahre.

          Lorenz Jäger
          Freier Autor im Feuilleton.

          Zum großen (und fast einzigen) Erfolg des schönen Tags wurde paradoxerweise ein Lied an der Grenze zur Depression, das in den süßesten, schönsten, zartesten Melodien eine traurige Winterzeit schildert: die eines gefangenen weißen Vogels im goldenen Käfig. Gold und weiß sind an sich die edlen, festlichen Farben, beliebt in liturgischen Zusammenhängen. Hier treten sie auseinander, dem Vogel ist die weiße Unschuld eigen, der Käfig ist der goldene des Wohlstands der sechziger Jahre. Und vor allem: Draußen regnet es, der Vogel ist allein. Abgefallene Blätter werden die lange schwarze Straße entlang geweht, ein dunkler Himmel zürnt. Inzwischen sitzt der weiße Vogel – nun mit dem Pronomen „she“ angesprochen – weiter ungekannt im Käfig. Sie muss fliegen oder sie wird sterben. „Fly“ reimt sich auf „die“: Heb ab oder stirb, so lautet das Echo auf Jefferson Airplane. Der Vogel träumt von den Espen (man nennt sie auch Zitterpappeln, „Zittern wie Espenlaub“ ist eine geläufige Redensart), deren sterbende Blätter sich golden verfärben und der Käfigfarbe antworten. Der Vogel wird im Käfig alt. Sonnenuntergänge kommen und gehen, Wolken ziehen vorbei, die Erde selbst altert. Die Augen des jungen Vogels hören nicht auf zu glühen. Noch einmal: Sie muss fliegen oder sie wird sterben.

          Erwartung und Enttäuschung um 1967

          Das Lied, Ende 1967 komponiert, wurde 1969 veröffentlicht. Es brachte einen weichen, kalifornischen Klang, bei dem eine süße Melancholie nicht zu überhören war, eine durch künstlerische Arbeit angeeignete Depression. Die Versprechen von vor zwei Jahren haben sich nicht erfüllt und die Geschichte der Band bildet eigentlich den kurzen Weg von der Erwartung zur Enttäuschung nach. Gemanagt wurde die Gruppe von Matthew Kaatz, der auch Jefferson Airplane unter Vertrag hatte und heute nicht nur seine schlechte Geschäftsführung berüchtigt ist, sondern für regelrecht sittenwidrige Praktiken, die den Interessen der Bands direkt zuwiderliefen; bis in die 2000er Jahre hinein gab es bittere Rechtsstreitigkeiten zwischen Kaatz und den Gruppen, die er betreut hatte. „It’s a beautiful day“ hielt er von Auftritten in San Francisco ab – die Band sei noch nicht reif, meinte er. Stattdessen überzeugte er sie, ihr Glück zuerst im weit nordwestlich gelegenen Seattle zu versuchen, zufällig in einem Club, der ihm gehörte. Die Band lebte dort im Norden nun in ärmlichen Verhältnissen. Man war deprimiert, hungrig, fror – da kam die Geburtsstunde des Lieds.

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