Pop-Anthologie (159) : Jetzt für immer
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„Now the strangest thing I’ve seen / was a t-shirt turning green“. David Crosby (1941 bis 2023) Bild: Picture Alliance
Ein T-Shirt wird grün vor Neid: „Traction in the Rain“ ist ein weniger bekannter Song des jüngst verstorbenen großen David Crosby – aber einer, der seinen musikalischen Moment in der Zeitgeschichte perfekt festhält.
In einem Video, das den hochbetagten, aber scharf aussehenden und gewitzt erzählenden David Crosby in Begleitung verschiedener Akustikgitarren zeigt, mit denen er im Laufe der Jahre zusammen war, spricht er über die Bedeutung guter Instrumente für das gute Spiel. Man kennt seines aus Stücken, die er für Crosby, Stills & Nash (und manchmal auch Young) geschrieben hat, etwa „Guinnevere“, aber auch aus Solowerken.
Crosby hat immer gern mit „offenen“ Stimmungen der Saiten experimentiert und so seine sehr charakteristischen Pickings und Melodien erzeugt. Beachtlich und typisch für ihn auch, wie er in jenem Video über Spuren an den Instrumenten spricht, die andere profan als Abnutzung beschreiben würden – bei ihm sieht man daran nur, dass eine Gitarre „Tausende Stunden der Liebe“ erfahren habe.
Atmosphärisch perfekt
In den Nachrufen auf den am 18. Januar verstorbenen Musiker, dessen Bedeutung für das Musikgenre des Folk-Rock kaum überzubewerten ist, wurden – zu recht – viele der großen Stücke gewürdigt, die ihn unvergesslich machen: härtere wie „Wooden Ships“ und „Almost Cut My Hair“, zartere wie „Triad“, das er 1968 noch bei den Byrds schrieb.
Auf seinem 1971 veröffentlichten Soloalbum mit dem nur vorderhand belustigenden Titel „If I Could Only Remember My Name“, das Jon Pareles in der „New York Times“ jüngst treffend als „perfectly atmospheric“ bezeichnet hat, versteckt sich aber noch ein mehr als zartes Lied, das eine besondere Hervorhebung verdient hat.
„Traction in the Rain“ ist vielleicht einer der meditativsten Songs nicht nur der Hippie-Zeit, nicht nur der Musikszene des Laurel Canyon, sondern überhaupt. Er stellt den Gitarristen und Sänger David Crosby geradezu nackt vor unsere Ohren. Ein Akkord fällt auf die Eins des Taktes, dann passiert nicht mehr viel bis zur nächsten Eins – durch die ganz sanfte Rhythmisierung und das angedeutete Schlagmuster der Gitarre beginnt man aber innerlich zu zählen, hat bald eine Grundstruktur aus den zwei sich immer wieder ablösenden Akkorden im Kopf, die doch verbunden sind durch den Orgelton einer für sich allein rhythmisch angeschlagenen offenen E-Saite. (Wenn man nur diese Tonspur für sich hörte, klänge es vielleicht, als stimme da jemand gerade seine Gitarre.)
Ringen um Bodenhaftung
Über diesem Gitarren-Minimalismus erhebt sich dann, frei wie ein Vogel, Crosbys Stimme: „It’s hard enough, I know / To find the strength to go / Back to where it all began“. Sie will zurück zu den Wurzeln – einer Erinnerung, aber auch denen des Lebens, meint man zu spüren. Der Sänger ringt um Bodenhaftung: „It’s hard enough to gain / Any traction in the rain“. Es könnten die Reifen eines VW-Busses gemeint sein, der nicht im Regen aus einer kalifornischen Kurve rutschen soll. Aber es ist auch die nassglatte Straße der Erinnerung gemeint, auf der man leicht ins Rutschen gerät. Das ist, in aller Vagheit, dann schon fast alles – der Song bombardiert einen nicht gerade mit Sprachbildern, Ideen und literarischen Anspielungen wie einer von Bob Dylan; umso atmosphärisch-offener wirkt er. Aber es folgt noch sein Schlüsselsatz: „It’s hard for me to find a way / To get through another city day / Without thinking about / Gettin’ out“.