Pop-Anthologie (115) : Im Zeichen des Drudenfußes
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„Pentangle“ mit Jacqui McShee Bild: Picture-Alliance
„She moves through the fair“ ist eine Schauerballade aus dem 19. Jahrhundert, die „Fairport Convention“ und „Pentangle“ ins Medium der Popmusik übertragen haben. Die Wirkung bleibt herzzerreißend im Zeitsprung.
Keine Mode und keine Moderne ist lang aus sich allein heraus lebensfähig. Jede schafft sich ihre eigene historische Tiefe, sie assimiliert sich Stoffe und Techniken von allen Ecken und Enden und prüft schon mit dem ersten Blick, was sie sich einverleiben kann. „Tradition“ ist ebenso eine Gabe wie eine Aufgabe. So gingen auch in den Rock ‘n‘ Roll, als die fünfziger Jahre einmal zu Ende waren, andere Fermente bereichernd ein: alles nur Mögliche wurde angesaugt, um den musikalischen Gehalt zu erweitern, die Sache gewichtiger zu machen, mit der Fracht neuer Bedeutungen aufzuladen.
Die Afroamerikaner steuerten Tamla Motown bei, den Blues (im Gesang, in der Gitarrentechnik) und Soul. Ein spezifisch weißes, nämlich der Idee nach germanisch-keltisches Element dagegen, eine Vergangenheit voll poetischer Schätze, die neu zu strahlen begannen, kam vom britischen Folk der späten sechziger Jahre. Vom britischen, nicht vom amerikanischen.
Auch in den Vereinigten Staaten gab es seit Anfang der Sechziger eine starke Folk-Strömung. Sie hatte ihre Paten in Woody Guthrie und Pete Seeger, die vom Sozialprotest herkamen und ihre Wurzeln in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger und im linken Pazifismus der fünfziger Jahre hatten. Aber auch dieses Reservoir war begrenzt und nicht mehr viel weiter zu entwickeln. Joan Baez konserviert es bis heute auf hohem Niveau, Bob Dylan begann seine Odyssee durch die ganze Breite amerikanischer Gesangstraditionen. Britannien dagegen bot eine reiche mittelalterliche Überlieferung und mit den Minstrels, den Spielmännern, sogar soziologisch fassbare Projektionsfiguren. Nicht zu vergessen das neugeschaffene geheimnisvoll Alte: den Mittelerde-Mythos von Tolkien. Dass einer der maßgeblichen Londoner Clubs Ende der sechziger Jahre den Namen „Middlearth“ trug, ist bezeichnend. Schließlich gab es die englischsprachige, frühneuzeitliche Tradition der Ballade, des erzählenden Gedichts.
Die eigentümliche Stimmung eines britischen Christentums
Das war der Sternenstand, unter dem sich in den späten sechziger Jahren zwei Bands bildeten, die im Grunde die ganze Tendenz zusammenfassten: „Fairport Convention“ und „Pentangle“. In beiden Gruppen spielten Sängerinnen mit charakteristisch reinen, am Bild mittelalterlicher Musik geformten Stimmen bald die richtunggebende Rolle: Sandy Denny (1947 bis 1978) in der ersten, Jacqui McShee (*1943) in der zweiten. Nicht amerikanische Rauhheit wie bei Grace Slick oder Janis Joplin, schon gar nicht die gesungenen Sünden und Sinnlichkeiten von Billie Holiday prägten den Stil, sondern eine Art virtuoser Jungfräulichkeit, ein glockenheller Gesang zog in die Popmusik ein. Die beiden Bands waren einander ähnlich; nach dem frühen Tod von Sandy Denny sang Jacqui McShee zeitweise bei „Fairport Convention“. Von der Band „Lindisfarne“, benannt nach einer heiligen Insel und dortiger keltisch-christlicher Überlieferung, kam ein Gitarrist zu „Pentangle“. Nachdem Sandy Denny bei „Fairport Convention“ aufgehört hatte, gründete sie die Band „Fotheringay“ – benannt nach Fotheringhay Castle, einem mittelalterlichen Schloss, in dem Maria Stuart hingerichtet worden war. Von dieser Band gingen wiederum einige Mitglieder zu „Pentangle“.
Und auch der Name dieser Gruppe gehört zu dem dichten Anspielungsnetz auf das alte England, das im britischen Folk die entscheidende Rolle spielte. Er bedeutet „fünfzackiger Stern“, Pentagramm, Drudenfuß. Man hatte ihn aus dem spätmittelalterlichen Epos „Sir Gawain and the Green Knight“ genommen, das zu den Geschichten um den König Artus gehört. Hier finden wir die eigentümliche Stimmung eines britischen Christentums, das sich mit der Verführung, dem Abenteuer und dem Geheimnis legiert und damit neue epische Möglichkeiten schafft. Sir Gawain hat einen mit dem fünfzackigen Stern verzierten Schild. Es ist das erste Mal in der europäischen Literaturgeschichte, dass wir von diesem Zeichen hören. Es geht, wie das Epos sagt, auf den König Salomon zurück – „hit is a syngne þat salamon set sumquyle“ – aber nicht so, wie die Märchen von Tausendundeine Nacht ihn gesehen hatten, als den Weisen, der mit magischen Siegeln die Geister in Flaschen bannt. Die Symbolik wird vielmehr ganz ins Christliche verwandelt, sie weist, so sagt der Dichter, auf die fünf Leiden Christi und die fünf Freuden Mariens. „þat is þe pure pentaungel wyth þe peple called“ – dies ist das reine Pentangel, wie es die Leute nennen. Rein war die Stimme von Jaqui McShee. Fünf Mitglieder hatte die Band, auch insofern passte der Name.