Pop-Anthologie (108) : Do you really want to live forever?
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Schon wenn man die Titelliste des Albums „Forever Young“ anschaut, wird klar, wie viele Inspiration in die englischen Texte eingegangen sind. So erinnert „Summer in Berlin“ an „Summer in the City“ von Lovin’ Spoonfull, Mauer-Feeling inklusive. „Big in Japan“ hieß eine britische Band, aus der später „Frankie goes to Hollywood“ hervorging. „To Germany with Love” erweckt Assoziationen zu „From Russia with Love“, dem zweiten James-Bond-Film mit Sean Connery. „Fallen Angel“ hieß auch ein Film von Otto Preminger aus dem Jahr 1945, auf Deutsch: „Mord in der Hochzeitsnacht“. Bei „Forever Young“ denkt man natürlich an den Songtitel von Bob Dylan, bei „In the Mood“ an Glenn Miller, um nur die auffälligsten Parallelen zu nennen.
Dass die Alphaville-Welt voller popkultureller Bezüge ist, lässt sich also leicht zeigen. Die Texte der Songs auf dem Album „Forever Young“ funktionieren nach drei Prinzipien. Entweder wirken sie wie ziemlich gute Schul-Englisch-Texte, oder sie sind Smurfing. Oder sie sind beides.
Eine gediegene Mischung ist der größte Hit der Platte „Forever Young“. Der Song war einer der ersten, den Alphaville gemeinsam komponierte und zwischen 1981 bis 1983 immer weiterentwickelte. Im August 1983 wurde der Song in einer Session mit dem Produzenten Colin Pearson in Berlin aufgenommen.
Die Machart des Textes erinnert ein bisschen an die aufgeklebten und in einen neuen Zusammenhang gesetzten Wörter in den Schnipsel-Gedichten von Herta Müller. Und da, wo das passende Wort nicht auffindbar war, wird es von Hand dazu geschrieben. Bei vielen Zeilen aus „Forever Young“ drängen sich einem als Hörer sofort bestimmte Assoziationen auf.
Man kann sich als Hörer in dieses Gewebe aus englischen Phrasen, zitierten Songzeilen und ausgeliehenen Song- oder Filmtiteln hinein betten, wie in ein sanftes Pop-Ruhekissen.
Auch bei der Instrumentierung und melodischen Phrasierung des Songs machten die drei Songwriter Gold/Lloyd/Mertens etwas Ähnliches wie mit dem Text. Das Lied wird komplett mit Synthies gespielt. Synthies, die nur so tun, als seien sie Bachtrompeten, die nur so tun, als seien sie Streicher. Es geht aber nicht darum, das Künstliche zu verbergen. Genau so wenig, wie es beim Text darum geht, die Zitate zu verbergen. Es soll genauso künstlich und anspielungsreich klingen.
Gold/Lloyd/Mertens sind keine Komponisten oder Texter im klassischen Sinn. Sie sind co-aktive Popfans, die aus ihren Lieblingssongs und Lieblingsfilmen ein neues Kunstwerk collagiert haben. „Forever Young“ ist eigentlich Fan-Fiction. Der Appeal von Fan-Fiction besteht in der gelungenen Fortführung eines erfolgreichen Originals. Und genau das haben die Popnerds Gold/Lloyd/Mertens erreicht. Und zwar brillant. In Anlehnung an Richard Hamiltons berühmte Collage könnte man es auch so formulieren: That’s what it is that makes today's popmusic so different, so appealing!
Wächter des Tors in das Jenseits
Als „Forever Young“ Mitte der Achtziger ein Hit wurde, waren die Achtundsechziger bereits durch die Institutionen marschiert und ziemlich ernüchtert. Der große Gegenreformator Helmut Kohl wollte die Linken mit seiner geistig-moralischen Wende zur Raison bringen. Die Welt befand sich im Kalten Krieg. Der saure Regen und das Waldsterben beunruhigten eine ganze Generation.