Pop-Anthologie (160) : Dass nichts bleibt, wie es war
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Bekannt für extravagante Outfits: Harry Styles Bild: Picture Alliance
Mit „As It Was“ ist Harry Styles in Sphären aufgestiegen, die er mit David Bowie oder Freddie Mercury teilt. Zu Recht? Der Song kommt im sommerleichten Popkleidchen daher, handelt aber von der Kälte des Verlusts.
Harry Styles liegt gerade im Trend: Sein Stil bricht tradierte Geschlechterrollen auf, das Alter seiner berühmten Partnerinnen skandaliert durch die Regenbogenpresse, sein schauspielerisches Talent wird (spöttisch-)interessiert verfolgt. Jüngst wurde sein drittes Studioalbum „Harry’s House“ mit einem Grammy als Album des Jahres ausgezeichnet.
Seine mediale Allgegenwart verdankt Styles einem woken Image und viralen Tiktok-Trends. Doch der Erfolg lässt sich nicht auf derlei Äußerlichkeiten reduzieren, Styles hat mehr zu bieten. Künstler und Kunstprodukt sind als Gesamtkunstwerk anzusehen, wobei den schrillen Auftritt handwerklich durchaus gediegene Musik begleitet.
Ist Erfolg im Studio planbar?
Das gilt auch für den Song „As It Was“, die erste Singleauskopplung aus „Harry’s House“. Styles in den Charts ist wenig überraschend, doch das Ausmaß seiner Präsenz imponiert trotzdem: in über dreißig Ländern auf Platz eins, in den US-Charts der am längsten vertretene Nummer-eins-Hit eines britischen Künstlers, ein Eintrag in die Guinness World Records für den am meisten gestreamten Track eines männlichen Künstlers auf Spotify innerhalb von 24 Stunden.
Dass „As It Was“ zu einem derartigen Hit geworden ist, lässt sich sicherlich auch darauf zurückführen, dass Kid Harpoon und Tyler Johnson an der Produktion beteiligt waren. Schon mit „Watermelon Sugar”, „Adore You“ und „Falling” haben die Produzenten bewiesen, dass Erfolg im Studio planbar ist.
„As It Was“ ist ein rhythmisch vor sich hin klopfender Ohrwurm, der auf komplexere musikalische Finessen verzichtet. Woher also das Hit-Potential? In seiner Eingängigkeit wird „As It Was“ durchaus Songs von David Bowie oder Freddie Mercury gleichgestellt, den beiden Künstlern, mit denen Styles in den Medien häufig verglichen wird. Wobei die simple Akkordfolge des Liedes kaum die jazzige Komplexität im Aufbau der einzelnen Akkorde erreicht, die beispielsweise die ebenfalls kadenzorientierte „Bohemian Rhapsody“ auszeichnet.
Allerdings ist Popmusik heute ohne die visuelle Begleitung aufwendig produzierter Musikvideos kaum noch vorstellbar. Obwohl befürchtet wurde, dass die Bedeutung der Musikvideos als Medium mit den Musiksendern MTV und Viva verschwinden werde, zeigt sich das Musikvideo dank Youtube, Tiktok und Instagram zwar im Format verändert, aber alles in allem quicklebendig. Musik und Video in Verschmelzung tragen mehr denn je zum erwähnten Gesamtkunstwerk-Charakter bei.
In dem Video zu „As It Was“ zeigt Styles keine Scheu, sich in ästhetischer Perfektion, ganz nach den Vorbildern Mercury und Bowie, als Gegenbild toxischer Männlichkeit zu inszenieren. Styles trägt Nagellack und einen roten, eng anliegenden, mit Pailletten besetzten Jumpsuit – die ihn begleitende Tänzerin das Gleiche in Blau. Farblich signifikanter lassen sich etablierte Geschlechtercodes kaum aufbrechen, determinieren doch Rot und Blau in unserem Kulturkreis seit jeher die soziale Geschlechterzugehörigkeit umgekehrt. Nebenbei bemerkt: Das Outfit ähnelt jenem legendären roten Jumpsuit Bowies aus dessen „Diamond Dogs“-Ära in den frühen Siebzigern.
Sag’ doch bitte Gutnacht!
In faszinierender Ergänzung zu dieser süffigen Synthie-Pop/Elektro-Rock-Fusion und der romantisch anmutenden Bildsprache des Videos steht der bittersüße Songtext.
Unerwartet überrumpelt der Beginn des Liedes mit der Sprachnotiz „Come on, Harry, we wanna say goodnight to you!“. Sprecherin ist Styles’ fünfjähriges Patenkind Ruby, die Tochter des Regisseurs Ben Winston. Wie kommt dieser Sprachfetzen ins Lied? Styles selbst erwähnt in einem Interview, den allabendlichen Anruf seiner Patentochter vor dem Schlafengehen. Weil er dieses Ritual an jenem Abend verpasst hat, fällt Rubys Reaktion „not amused“ aus. Zwischenzeitlich erreicht diese kurze Sprachnotiz Kultstatus. Und zeigt, dass auch absolute Profis zuweilen verblüfft feststellen müssen: Erfolge entstehen nicht ausschließlich am Reißbrett. Hier ist es gerade die künstlerische Kreativität von Styles, die durch eine spontane Eingebung, dem durchkalkulierten Musikbetrieb mit menschlicher Wärme trotzt. Oder sollte auch diese vermeintlich kreative Spontaneität letztlich eingeplant sein?
Nach diesem Einstieg dringt Styles unmittelbar zum Kern des Liedes vor: Einsamkeit und Isolation. Als Leitmotiv des Songs und des gesamten Albums dient dem Künstler das im Albumtitel explizit genannte „Harry’s House“. Das Haus wird über seine Funktion als Gebäude insofern auch metaphorisch ausgedehnt, als es das Innenleben von Styles widerspiegelt, wie er selbst in einem Gespräch sagte. Daher ist der Albumtitel durchaus programmatisch zu deuten. „Answer the phone / ‚Harry, you’re no good alone / Why are you sitting at home on the floor? / What kind of pills are you on?‘“.
Selbst der Zwischenruf Rubys, wie durch eine geschlossene Tür gesprochen, manifestiert ein Scheitern sozialer Gemeinschaft eindrücklich. Die Metapher des Hauses als Isolationsort und das Unvermögen des lyrischen Ichs zu menschlichem Zueinanderfinden nimmt in „As It Was“ fast kafkaeske Dimensionen ein: Das Haus bietet seinen Bewohnern Schutz, kann aber auch als (selbst gewähltes) Gefängnis wahrgenommen werden.
Der Weg vom Ich zum Du
Wenn Styles zu Beginn des Videos eine verschlossene Tür aufstößt und sich in einer Menschenmenge wiederfindet, verstärkt dieser Kontrast nur visuell sein Leiden an zwischenmenschlicher Kälte – sein lyrisches Ich bleibt auch von Menschen umringt allein. Styles erfindet sich als Protagonist des Liedes in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen Interaktion und Isolation, Vertrauen und Verletzlichkeit, Auseinandergehen und Aufeinanderzubewegen. Es bleibt der Weg vom Ich zum Du, der für Styles unendlich weit und aussichtslos kompliziert zu sein scheint, sein Lied-Ich bleibt in sich selbst gefangen. Das farbliche Anderssein, die trennende Glasscheibe und das Auseinanderdriften der Tanzbewegungen, die Türen, die durchschritten werden, ohne Anschluss zu finden und die räumliche Trennung durch unterschiedliche Ausrichtungen vermitteln nur eine Botschaft: Einsamkeit.
Einen umstrittenen Bezug zu dieser Einsamkeit sehen Kritiker und Fans übrigens auch in der Zeile „Why are you sitting at home on the floor?“, die sie als Hinweis zu Styles’ Trennung von Taylor Swift deuten, hat doch Swift in ihrem Song „Last Kiss“ ebenfalls die Zeile „sit on the floor wearing your clothes“ gesungen. Parallelen zwischen Styles und Swift lassen sich nicht gänzlich von der Hand weisen.
Ebenfalls autobiographisch werden die Zeilen „Your daddy lives by himself / He just wants to know that you're well, oh! / leave America, two kids follow her / I don't wanna talk about who's doin' it first“ gedeutet, in denen Rezipienten eine Anspielung auf die Trennung von Styles Eltern sehen, ein sicherlich einschneidendes Erlebnis für den damals Zwölfjährigen. Gerade die zweite Zeile „He just wants to know that you’re well, oh!“ lässt in seiner schmerzhaften Direktheit tief in die Vater-Sohn-Beziehung blicken.
Die biographischen Aspekte mögen Aufschluss über die Beweggründe zu diesem Song liefern, für dessen künstlerischen Wert bleiben sie jedoch peripher. Im Kern handelt er von einer für viele anschlussfähigen Wiederkehr des Immergleichen, aber in jeweils neuer Gestalt: Das zeigt sich an der Refrain-Zeile „You know it‘s not the same as it was“. Auch wenn sich die äußeren Bedingungen in einer Beziehung kaum ändern: Jedes Wort, jede Tat, jedes Gefühl, jedes Erleiden prägen. Und wirken nach. Ein Zurück gibt es nicht.
As It Was
Holdin' me back
Gravity's holdin' me back
I want you to hold out the palm of your hand
Why don't we leave it at that?
Nothin' to say
When everything gets in the way
Seems you cannot be replaced
And I'm the one who will stay, oh
In this world, it's just us
You know it's not the same as it was
In this world, it's just us
You know it's not the same as it was
As it was, as it was
You know it's not the same
Answer the phone
"Harry, you're no good alone
Why are you sittin' at home on the floor?
What kind of pills are you on?"
Ringin' the bell
And nobody's comin' to help
Your daddy lives by himself
He just wants to know that you're well, oh
In this world, it's just us
You know it's not the same as it was
In this world, it's just us
You know it's not the same as it was
As it was, as it was
You know it's not the same
Go home, get ahead, light-speed internet
I don't wanna talk about the way that it was
Leave America, two kids follow her
I don't wanna talk about who's doin' it first
As it was
You know it's not the same as it was
As it was, as it was