Phil Everly gestorben : Harmonielehrer
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Auftritt der Pop-Pioniere: Phil Everly (links) und sein Bruder Don bei einem Konzert 1970. Bild: dpa
Ohne die Everly Brothers gäbe es die Beatles, Beach Boys, Byrds und Simon & Garfunkel nicht: Sie perfektionierten den Pop-Harmoniegesang. Nun ist Phil Everly im Alter von 74 Jahren gestorben.
Phil Everly ist tot. Der jüngere Part des wohl wichtigsten, einflussreichsten Duos der Popgeschichte „The Everly Brothers“ starb am Freitag in Burbank, Kalifornien. Am 19. Januar hätte er seinen 75. Geburtstag gefeiert. Wie seine Frau der „Los Angeles Times“ bestätigte, erlag er, der von den Brüdern gesundheitlich eigentlich immer der robustere war, einer Lungenerkrankung.
Ihre Lieder definierten, was ein Popsong ist
Don und Phil Everly traten schon als Schulkinder in der elterlichen Country-Radiosendung und auf kleineren Bühnen auf, zahlten 1955/56 – da war Phil noch minderjährig – bei Columbia Records ein Lehrgeld in Form von vier binnen zwanzig Minuten heruntergerissenen Singles, die sich nicht verkauften, und kamen 1957 bei der Firma Cadence Records unter. Hier landeten sie mit „Bye Bye Love“ auf Anhieb einen Volltreffer, einem Song, den ihnen das Ehepaar Felice und Boudleaux Bryant geschrieben hatte – der Beginn einer außerordentlich erfolgreichen Zusammenarbeit, aus der Lieder hervorgingen, die den Begriff „Popsong“ quasi neu oder überhaupt erst definierten, vor allem „Wake Up Little Susie“ und „All I Have to Do Is Dream“.
Während zeitgenössische Rock’n’Roller unter der Prägekraft des Rhythm & Blues einen schwarzen Musizierstil pflegten, obwohl sie gar nicht die entsprechende Hautfarbe hatten, schufen die Everly Brothers einen spezifisch weißen Sound: glatt und gefällig, perfekt (von ihnen selbst) arrangiert, mit Texten, die vorzugsweise um Teenager-Nöte kreisten und niemanden aufregen mussten, auch wenn „Wake Up Little Susie“, das unter dem Verdacht stand, zwischen den Zeilen vom Beischlaf zu handeln, kurioserweise von einigen Radiosendern zunächst boykottiert wurde.
Vielseitigkeitspioniere in bitter-süße Noten
Vier Jahre lang waren die Everly Brothers eines der großen Kraftzentren der Popmusik, hochprofessionell, gepflegt, verbindlich. Don sorgte für die selten ausufernden Gitarrensoli – beide bevorzugten Stahlsaiten – und fügte den Liedern mit seinem fast selbstgenießerischen Bariton extrem charakteristische, bitter-süße Noten hinzu, Phil quengelte mit seinem Tenor an der Grenze zum Falsett und war in den Harmonien stärker. Der Harmoniegesang der beiden wird immer unvergleichlich bleiben und wurde von so gut wie allen namhaften Popmusikern als das entscheidende Vorbild gerühmt, die von ihnen lernten, wie man Close harmonies plaziert – die Beatles, die Beach Boys, die Byrds, Buffalo Springfield und Simon & Garfunkel.
Alle diese Bands hätte es ohne die Everly Brothers zumindest in der dann bekannten Form nicht gegeben, wie die Brüder auch Vielseitigkeitspioniere waren: Viele ihrer Songs standen in den Pop-, Country- und in den Rhythm & Blues-Charts ganz oben.
Dann zerschlug Phil seine Gitarre
Mit dem Beginn der britischen Invasion in Amerika (Beatles, Rolling Stones) gerieten die Everly Brothers aber schon ins Hintertreffen. Sie waren inzwischen bei Warner untergekommen, einer Firma, die mit ihnen überhaupt erst eine Musikabteilung aufbaute, und segelten nun doch etwas abseits vom Mainstream-Wind, der zunehmend von frenetischer Härte und psychedelischer Tiefe beherrscht war. Vor der Zeit standen die unverdrossen musizierenden Brüder wie Relikte da, spielten 1968 zwar eine mustergültige Countryrock-Platte ein, die denen der Byrds und Flying Burrito Brothers ebenbürtig war („Roots“); aber mit Ablauf des Jahrzehnts zeichneten sich Trennung und sogar Zerwürfnis ab: Es war Phil, dem an einem Juli-Tag 1973 in Hollywood auf offener Bühne die Sicherungen durchbrannten; er schlug seine Gitarre kaputt und ging dann ab.
Don erklärte den Zuhörern ehrlich, was musikalisch in gewisser Weise auch zutraf: „Die Everly Brothers sind schon seit zehn Jahren tot.“ So gesehen, was es der typische Schicksal von auf Hochleistung getrimmten Künstlern, die zu lange zu dicht aufeinander hockten und ihrer gegenseitig überdrüssig wurden.
Musik aus einer andere, vielleicht besseren Zeit
Es versteht sich, dass die separaten Anstrengungen der beiden keine vergleichbare Wirkung entfalteten, obwohl ihren seit den frühen siebziger Jahren sporadisch veröffentlichten Soloplatten, vor allem denen Dons, durchaus etwas Genialisches anhaftete. Stärkere eigene Songschreiber-Qualitäten zeigte dabei aber Phil, insbesondere auf seinem Country, Folk und Rock wunderbar ausbalancierenden Debüt „Star Spangled Springer“ (1973). 1983 taten sie sich wieder zusammen und veröffentlichten noch einmal eine Meilenstein-LP, die den Paul-McCartney-Song „On the Wings of a Nightingale“ enthielt – nach Meinung nicht weniger Kritiker mit das Beste überhaupt in ihrer langen Karriere.
Vor zehn Jahren waren sie in Deutschland noch einmal gemeinsam zu erleben: Simon & Garfunkel holten sie auf die Bühne, wo sie, etwas breiter geworden, aber mit unvermindertem Schwung, drei ihrer Smash-Hits zum Besten gaben – der Kölner Saal tobte. Seltsam konserviert mutet die Musik der Everly Brothers schon seit Ewigkeiten an. Nun, bei der Nachricht von Phils Tod, der ein immenser Verlust für die Popmusik ist, weht sie noch einmal zu uns herüber, brüderlich intoniert in einer unschuldigeren, vielleicht auch besseren Zeit.