Zum Tod des Sängers Idir : Patron der Berberkultur
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Ikone der kabylischen Berbermusik: Idir Bild: EPA
Von der Hirtenflöte bis zum Hip-Hop: Er gilt als Botschafter der kabylischen Kunst und ebnete Algerien den Weg in die Weltmusik. Nun ist der Sänger Idir in Paris gestorben.
Die LP „A vava inouva“ konnte ich 1976 in Algerien nur unter der Ladentheke erstehen, der stolze Preis von 75 Dinar steht noch handschriftlich auf der Hülle, neben dem Porträt des Interpreten Idir. Als ich sie abends mit Freunden in Algier hörte, erfuhr ich, welchen Einfluss Musik auf das Leben der Menschen haben kann: spontane Freude, man tanzt Zwit Rwit im engen Wohnzimmer zum schweren Rotwein. Der Titelsong (deutsch: „Mein Papachen“), ein Abschiedslied, wurde zur algerischen Nationalhymne, seit er 1973 eher unbeabsichtigt im Radio erklungen war. Politisch daran war, dass der Hirtensohn aus Ait-Lahcène im Djurjrua-Gebirge kabylisch sang, die damals noch weitgehend unterdrückte Berber-Sprache seiner Heimat.
Algerien verstand sich als arabisch-muslimischer (und sozialistischer) Einheitsstaat, dessen Zentralismus wenig Pluralismus ertrug, obwohl die unwegsame Kabylei mit ihren besonderen Sozialstrukturen maßgeblich zum Sieg über die französischen Kolonialherren beigetragen hatte. Die Lieder, vorgetragen im Duett mit der Sängern Mila, sind melodisch und eingängig, intim und zu den ruhig fließenden Klängen der Hirtenflöte, akustischen Gitarre und Darbuka-Trommel doch eine entspannte Gemeinschaft bildend.
Erfolge aus dem Exil
Idir war der Künstlername von Hamid Cheriet, der im Hauptberuf als Geologe in einem Staatsbetrieb arbeitete. Auf der Plattenhülle trug er eine Hippie-Mähne, aber wer ihn erlebte, hatte einen freundlich-bescheidenen Mann vor sich, den man in der Menge womöglich übersehen hätte. Ironischerweise hatte er, der vom Massen-Exil der Algerier gesungen hatte, sich 1975 selbst nach Paris abgesetzt, wo die LP ebenfalls einschlug. Dort erkoren sich die jungen Immigranten, später Beurs genannt, „A vava inouva“ zu ihrem Erkennungssong. Die Platte wurde in 77 Länder exportiert, „un tube planétaire“, der Eintritt Algeriens in die „Weltmusik“. Populär wurde Idir auch, weil er in eine Welle regionaler Musik und regionalistischer Bewegungen passte, die damals von den keltischsprachigen Gebieten bis ins imaginierte Okzitanien schwappte, und eben auch die berberischen Gebiete Nordafrikas erreichte, sich dabei aber mit einem Aufbruch elektrisch verstärkter Musik in Westafrika verband.
Idir hat im französischen Exil weitere erfolgreiche Alben veröffentlicht, sich als Patron der kabylischen Kultur betätigt und gemeinsame Konzerte mit den neuen Interpreten seines Landes gegeben, bis hin zu den populären Hiphop-Stars. Der marokkanische Rapper Draganov hat „A vava inouva“ jüngst auf seine Weise interpretiert. Legendär war im Juni 1995, mitten im algerischen Bürgerkrieg, sein Auftritt vor 6000 Zuschauern mit dem König des Rai, Cheb Khaled. Im Januar 2018 trat er nach jahrzehntelanger Abwesenheit in der Coupole in Algier zur Feier des berberischen Neujahrsfests auf. Die älteren Zuhörer sangen jede Zeile mit, den Jüngeren war er kein Fremder. Am vergangenen Samstag ist Idir im Alger von 70 Jahren in Paris gestorben.