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Albumvorstellung in Berlin : Herbert Grönemeyer, du hast mein Leben zerstört

  • -Aktualisiert am

Sein Erfolg ist für ihn selbst das größte Rätsel: Herbert Grönemeyer versucht, so gut wie möglich durch den Abend zu kommen. Bild: Stefan Hoederath/Universal Music

Karamellisierter Ziegenkäse und Champagner: Herbert Grönemeyer stellt seine neue Platte im Berliner Grill Royal vor. Ein Abendessen mit lautem Pop und ohne Essen. Wer nicht mitsingt, ist selbst schuld.

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          Das „Grill Royal“ ist eines dieser Berliner In-Restaurants, die man nicht verstehen muss: Lage ganz okay, aber auch nicht wirklich berauschend, Inneneinrichtung irgendwo zwischen schlecht gehängten Kunstabklätschen und Siebziger-Jahre-Softporno, die Bedienungen weder richtig hinreißend noch richtig ätzend, wie es sich für Berliner Zugereistenhipness gehören würde. Hierher also strömt am Dienstagabend, was alles entbehrlich war in den heimischen Pop- oder Celebrityredaktionen, für einen oder zwei nette Tage in Berlin. Aus Wien, aus Stuttgart, aus Hamburg, aus Kiel und sogar Charlottenburg sind sie angereist, manchen rollt auch ein slawischer Akzent über die Lippen, so, als ob ganz Europa hier nun hinzugeeilt wäre, um das, nun ja, Event zu erleben, dessen Brisanz sich an diesem Ort voll entfaltet: Herbert Grönemeyer stellt seine neue Platte vor!

          Es gibt Schnittchen mit wahlweise Brandenburger Mozzarella oder hessischem Rosmarinschinken, den Seelachs haben für den Moment schon andere Kollegen weggeschnappt, es gibt recht leckeres Bier, gibt Champagner, der quer über den Tisch eingeschenkt wird, es gibt einen Moderator, der versucht, seine Wiener Würde vermittels ironischer Distanz durch den Abend zu retten, es gibt einen Universal-Mann, der stolz ist, dass er EMI gekauft hat, denn mit EMI hat er auch Grönemeyer gekauft, und Grönemeyer macht ja immer so tolle Events. Letztes Mal, flüstert ein Kollege mir zu, hat er auf einen Spreedampfer eingeladen, der fuhr dann bis zum Haus der Kulturen der Welt, und niemand konnte also einfach mittendrin nach Hause gehen.

          Wir glauben, die Schnittchen seien ganz gut

          Der Künstler lässt noch auf sich warten. Nächster Programmpunkt ist nämlich eine vollstündige Beschallung mit Grönemeyermusik, zu der man an den Tischen versuchen kann, Medieninterna zu verschieben, die kommende Hertha-Niederlage in Köln zu beklagen oder auch nur das Abwurfverhalten der Kellner zu analysieren. Welcher Gast kommt wo und unter welchen Umständen an etwas zu essen oder trinken? Es gibt gut frequentierte, zuverlässig angesteuerte Tische und Durchgangstische, auf deren Höhe der Kellner gerade erst so richtig in Schwung gekommen ist, Unterzeichnender sitzt an einem solchen. Die möglicherweise leckeren Schnittchen ziehen unablässig vorüber, mit etwas Berliner Zugewandertenchuzpe gelingt es immerhin, einen halbarroganten Kellner zu einem verlässlichen Bierbringer zu machen. Gruß, Mann!

          Unterdessen dröhnt, klimpert und ächzt es eine geschlagene Stunde lang aus Lautsprechern, viele vermuten, dies könnte die neue Platte sein, vielleicht aber auch eine alte, so genau sagen lässt sich das ja nicht. Wer in solcher Geräuschkulisse Speisen serviert, muss wirklich überzeugt sein von denen! Wir glauben, die Schnittchen seien ganz gut, aber wir glauben ja auch dem glücklich erhaschten Kellner, das eben abgegriffene Exemplar sei eines dieser vorzüglichen, mit Mozzarella und Einlegtomaten befüllten, während es sich auf der Zunge dann doch als Seelachs geriert.

          Ein Abend wie ein Abendessen

          Aller Nerven, folgern wir, sind zum Zerbersten gespannt, man kennt das ja aus den jüngst wieder hervorgeholten Weltkriegsromanen Arnold Zweigs: Ehe der Sturmangriff erfolgt, wird der Feind zunächst unter zermürbendes, zermarterndes Trommelfeuer gelegt. „Wie du lachst ...“ - „Wie du meine Welt neu vermisst ...“ - „Kein fester Boden, ich schwanke ...“ Royal werden wir gegrillt in unserem Schützengraben, aufmunternd beugen wir uns zueinander, erzählen uns Sachen ins Ohr: Sie werde, sagt eine Kollegin, die Grönemeyer-CD einer Erzieherin aus der Kita mitbringen! Die werde sich sicher freuen! Letztes Mal, sagt der Kollege, auf dem Schiff! Da habe Grönemeyer sogar selbst etwas auf dem Klavier vorgespielt! Und das sei echt toll gewesen! Der Hammer sei das gewesen!

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