Neil Young auf Tour : Rückkoppelungen als Weltkulturerbe
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Bollwerk des Guten, Wahren und Authentischen: Neil Young Bild: dpa
Wie man mit Donnerhall Kirchentagsatmosphäre erzeugt: Neil Young und seine Band Crazy Horse machten nun in Berlin Station und gaben zwei Rock-Geschichtsstunden, in denen die gute alte Zeit wiederauferstand.
Auf dem Weg zur Berliner Waldbühne waren am Sonntagnachmittag Woodstock-Schlachtrufe zu hören: „No rain! No rain!“ Tatsächlich wurde es zu Ehren von Neil Young und Crazy Horse noch beinahe ein deutscher Sommertag: Man saß unter zwanzigtausend Zuschauern in Wintersachen im grandiosen Kessel der ausverkauften Freilichtbühne und fror ein bisschen.
Der geschmeidige Ohrwurm „Love And Only Love“ eröffnete das Programm beim ersten Konzert der Europa-Tournee der legendären Band, ein Hippietraum von einem Lied, am Ende zerschreddert und zerschossen. Die sich ins Ohr fressenden Melodien und die fräsenden Gitarrenexzesse ergeben zusammen den Sound von Neil Young und Crazy Horse: Feedback als Weltkulturerbe. Rund fünfzehn Platten haben die Musiker in vier Jahrzehnten eingespielt, darunter das grandiose Live-Album „Weld“ (1991), das Neil Young als Godfather des Grunge zeigt, sowie das ruhigere, düstere Meisterwerk „Sleeps With Angels“ (1994). In Zeiten, in denen das Gitarrensolo fast schon unter Artenschutz steht, hat zuletzt im vergangenen Herbst das Doppel-Album „Psychedelic Pill“ die Kritik auf breiter Front bezaubert, als wäre es ein Bollwerk des Guten, Wahren und Authentischen in der Rockmusik, an das man sonst längst nicht mehr glaubt.
Leidenschaftlich bis ins Brachiale
Zwei Viertelstundensongs von „Psychedelic Pill“ hatte die Band in die Waldbühne mitgebracht, und es zeigte sich, dass ihre Wiederholungsschleifen live tatsächlich hypnotischen Effekt entwickeln. „Walk Like a Giant“ wirkt mit seinem gepfiffenen Thema wie das mutmachende Pfeifen im dunklen Sturmwald des Ideale zerschlagenden Lebens. In „Ramada Inn“ wechseln die Krachkunst-Passagen regelmäßig mit dem kinderliedhaften Refrain „And every morning comes the sun / And it goes rising to the day“. Das liegt haarscharf an der Grenze zwischen dem Einfachen und dem Einfältigen; aber es hörte sich anrührend an, wie die drei alten Männer diesen Chorus gemeinsam ins Grau des Berliner Himmels schickten, dem sie kurz darauf einen neuen Song mit dem Titel „Hole in the Sky“ widmeten.
Virtuose Musiker sind Crazy Horse nicht. Bassist Billy Talbot hält mit seinen stoisch gespielten Läufen den Laden zusammen und steuert Hintergrund-Harmoniegesang bei (was daran erinnert, dass Crazy Horse Mitte der Sechziger aus einer Doo-Wop-Formation hervorging). Das Schlagzeugspiel von Ralph Molina ist variantenarm und die größte Schwachstelle der Band. Frank Sampedro ist der wichtigste Mitspieler Youngs, der zweite Gitarrist, der mit seinem stark verzerrten Akkordspiel die Lärmwand aufbaut, vor welcher Young mit seinen Improvisationen agiert. Youngs Soli sind leidenschaftlich bis ins Brachiale, einzigartig und unverkennbar in der Art, wie die Töne bearbeitet, verformt, zerwalzt und geschunden werden, eine ganz eigene Stratosphäre.
Lust am gewaltigen Krach
Eine Gruppe von musikalischen Intensivtätern wollen sie sein, die sich gegenseitig hochschaukeln und dabei meistens dicht vor dem Schlagzeug zusammendrängen, als bräuchten sie die körperliche Nähe, um auf Touren zu kommen. In der Reduzierung des Materials und der ewigen Wiederkehr einfacher Akkordwechsel suchen sie den Heiligen Gral der Rockmusik. Wenn es gelingt, entsteht ein großartiger Flow, an diesem Abend etwa bei „F*!#In’ Up“, geprägt durch das minimalistische Synkopen-Riff, das wie die Essenz der Crazy-Horse-Ästhetik wirkt.
Verbale Kommunikation mit dem Berliner Publikum war nicht vorgesehen, das Konzert wirkte über weite Strecken wie ein Proberaum mit Zuschauern. Zweimal rief Neil Young „How you’re doing?“; nach zwei Dritteln des Konzerts kam die merkwürdige Frage: „Does it never get dark here? It’s amazing.“ Die Lichtshow sollte ja auch noch ein bisschen zur Geltung kommen, da hatte Neil nun Sorge wegen der Berliner Polarnacht. Ein schöner Moment war es, als ihm beim heftigen Bearbeiten seiner Effektpedale der Schal herunterfiel und Sampedro kurz zu spielen aufhörte, um ihn aufzuheben und dem Meister wieder um den Hals zu legen. Seliges Lächeln auf allen Gesichtern, als sich Neil Young die akustische Gitarre umhängte und mit seiner immer noch leicht kindlichen Stimme „Heart of Gold“ sang, dann sogar noch Dylans „Blowin’ in the Wind“ - Kirchentagsatmosphäre.
Endlich war es dunkel geworden, „Hey, Hey, My My“ folgte. 20 000 überwiegend ergraute, vom Leben zerfurchte Herrschaften sangen aus voller Kehle „It’s better to burn out than to fade away“. Da verabschiedeten sich die Musiker nach knapp zwei Stunden aber auch schon. In der Verlängerung gab es nur eine Langversion des schwelgerischen Molltonliedes „Like a Hurricane“, die vom Schönen ins Schaurige überging. Beim Schredder-Elfmeterschießen litt die Band sichtlich unter Erschöpfung. Männer fast um die Siebzig, mit so viel Lust am gewaltigen Krach, müssen auch mal zur Ruhe kommen. Zwei Stunden hat die Legende gelebt, Geschichtsstunden der Rockmusik.
Weitere Tourdaten
5. Juni: Amsterdam (Ziggo Arena)
8. Juni: Brüssel (Forest Nationaal)
11. Juli: Esch an der Alzette (Rockhall)
12. Juli: Köln (Lanxess Arena)
22. Juli: Stuttgart (Porsche Arena)
14. August: Dresden (Filmnächte am Elbufer)