Ralf Hütter, Florian Schneider und Emil Schult (v.l.n.r.) in ihrem Studio in Düsseldorf im Februar 1973 Bild: Picture-Alliance
Florian Schneider gestorben : Der Mensch und die Maschine
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Ohne ihn wäre die Popmusik von heute nicht die, die sie ist: Zum Tod von Florian Schneider, einem der Gründer und Genies der deutschen Elektronikgruppe Kraftwerk.
Die Popmusik des 20. Jahrhunderts hat eines ihrer Gründergenies verloren: Wie jetzt bekannt wurde, ist Florian Schneider im Alter von dreiundsiebzig Jahren gestorben. Gemeinsam mit seinem Studienfreund Ralf Hütter hatte Schneider 1970 Kraftwerk gegründet: Eine Band aus Düsseldorf in der alten Bundesrepublik Deutschland, deren Einfluss auf den Pop von heute nur mit dem der Beatles zu vergleichen ist oder dem von Elvis.
Eigentlich ist gar kein Vergleich zu klein: Denn ohne Kraftwerk wäre die elektronische Popmusik, wären Hip-Hop und Techno undenkbar. Auch, weil Schneider und Hütter vor fünfzig Jahren an den Geräten und Aufnahmetechniken zu forschen begannen, mit denen bis heute Hits geschrieben werden.
Was Schneider und Hütter, was Kraftwerk taten, speiste sich aus dem Geiste der Romantik und dem Strom der Steckdose. Aber die Düsseldorfer waren anders elektrifiziert als die Beatles oder Elvis. Sie brauchten bald keine Gitarren mehr. Was sie interessierte, waren die gewaltigen, neuen Synthesizer, an denen die Musikstudenten Hütter und Schneider selbst bastelten und löteten. Mit diesen Geräten und den neuen, tanzbaren Rhythmen und sentimentalen Geräuschen, die sie machten, haben Kraftwerk neu definiert, was populäre Musik am Ende des 20. Jahrhunderts sein kann - und, so wie es aussieht, auch noch auf lange Zeit im 21. Jahrhundert.
In den frühesten erhaltenen, schwarzweißen Bildaufnahmen von Kraftwerk spielt Florian Schneider noch Querflöte. Aufrecht sitzt er da, wie es sein Instrument erfordert, eine elegante Erscheinung aus gutem Haus - sein Vater, der Architekt Paul Schneider-Esleben, hatte unter anderem den Flughafen Köln/Bonn gebaut.
Schneider und Hütter waren und blieben über Jahre der Kern von Kraftwerk: Wer kam und ging, wie die beiden langjährigen Mitglieder Karl Bartos und Wolfgang Flür, erhielt den Status von Musikangestellten. Das passte zum formalistisch-strengen, reizvollen Outfit (Anzüge, Scheitel, Krawatten), das sich Kraftwerk seit 1974 gaben, mit zwei Konzernchefs an der Spitze eines deutschen Unternehmens, das Musik seriell verstand und herstellte. Zwei Chefs, die erkannt hatten, welcher enormer Eigenwille in dieser Reduktion liegt - während sich der Rest der Rock- und Popwelt der siebziger Jahre noch in endlosen Gitarrensoli und langen Haaren verstrickte.
„Autobahn“ von 1974, „Radioaktivität“ im Jahr darauf, „Trans Europa Express“ von 1977 - innerhalb von drei Jahren hatten Kraftwerk mit drei elektronischen Alben einen Sound erfunden, deren Echos bald als Sample auch im schwarzen Hip-Hop aus New York wiederhallte. Was nur die Universalität der Formel bewies, die sich Schneider und Hütter ausgedacht hatten.
Rückzug in die Computerwelt
Ihr Aufbruch in der Popmusik war aber mit jedem Schritt in die Zukunft von einem Rückzug begleitet: Hütter und Schneider wurden immer einsilbiger, ließen sich für die „Mensch-Maschine“ 1978 von Robotern vertreten, gaben kaum noch Interviews und wenn, dann rätselhafte, und irgendwann gar keine mehr. Produzierten vom hauseigenen Klingklang-Studio in einem Hinterhof der Düsseldorfer Mintropstraße zwar weiter Musik, Hitalben wie „Computerwelt“ (1981) und „Electric Cafe“ (1986), aber traten als Figuren selbst hinter sie zurück.
Weswegen jetzt, da die traurige Nachricht vom Tod Florian Schneiders bekannt wird, die Öffentlichkeit eigentlich kein Bild von diesem Künstler hat - dessen Werke wie wenige andere aber auf der ganzen Welt verehrt werden. Von Kraftwerks Nachruhm kann man sich überzeugen, wann immer Hütter mit seinen Angestellten heute noch auftritt, meist in musealer Inszenierung, das nächste Konzert wäre jetzt eigentlich geplant gewesen für Ende August in der Bonner Hofgartenwiese, 250 Jahre Beethoven, 50 Jahre Kraftwerk.
Florian Schneider aber ist bei diesen Inszenierungen schon lange nicht mehr dabei gewesen. Er hatte Kraftwerk Ende 2008 verlassen: Der Abschied, ein Epochenbruch eigentlich, war damals von den Beteiligten wie in den dürren Worten einer Konzernmitteilung kommuniziert worden, so technisch-kalt muss man es wohl sagen.
Dass man nicht mehr darüber weiß, warum er ging, hat Florian Schneider wohl selbst so gewollt. Der Rückzug, die Einsilbigkeit, das Maschinelle waren Teil einer ästhetischen Entscheidung, die Mitte der siebziger Jahre gefallen war - und die seitdem konsequent befolgt wurde. Umso deutlicher muss man jetzt, da die Öffentlichkeit von seinem Tod erfährt, betonen, in aller Lautstärke: dass hier ein großer Künstler gestorben ist.