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Karl Bartos zum Siebzigsten : Die Stimme der Energie

Karl Bartos im Jahr 2014 vor einem Auftritt im Frankfurter Mousonturm Bild: Stefan Finger

Er ist einer von vier Deutschen in der Rock’n’Roll Hall of Fame. Mit seinen Kraftwerk-Mitstreitern hat er Generationen von Elektro-Musikern beeinflusst – und er verließ die Band im richtigen Moment. An diesem Dienstag wird Karl Bartos 70.

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          Die Popmusik ist ein einzig(artig)es System von Selbstreferenzen. Wunderbar vorführen lässt sich das an der Beziehung des deutschen Klangkünstlers Karl Bartos zu seinen Vorbildern und Epigonen. Kraftwerk verstärkte er, als die Band von der elegischen zur industriellen Elektronik schwenkte. Sie machte sich forthin an eine Transformation einfacher Popformeln der Beatles, von Funkadelic, der Beach Boys oder von Johnny „Guitar“ Watson in eine maschinelle entmenschlichte Form digitaler Musik.

          Philipp Krohn
          Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.

          Seine rhythmischen Vorgaben in „Trans Europa Express“ von 1977 griff der US-amerikanische Hiphop-Pionier Afrika Bambaataa fünf Jahre später in seinem ersten Hit „Planet Rock“ auf. Als Bartos nach eineinhalb Jahrzehnten die Düsseldorfer Formation verließ, remixte er diesen Track wiederum in seinem neuen musikalischen Gewand Elektrik Music. Kopie, Selbstkopie, neue Kunst.

          Seine 16 Jahre in der einflussreichsten deutschen Musikgruppe hat Karl Bartos nahezu optimal auf die Bandgeschichte aufgeteilt. Er stieß zu Kraftwerk, nachdem diese einige Jahren experimentiert und mit dem Produzenten Conny Plank nach ihrem Sound gesucht haben. Als das damalige Trio 1974 sein erstes Meisterstück „Autobahn“ gerade veröffentlicht hatte, prägte er die fünf folgenden bahnbrechenden und auch international gefeierten Alben. Er verließ die Formation, als sie sich aufs Fahrradfahren, Ruhmverwalten und Musealwerden konzentrierte. Knapp ein Viertel seines an diesem Dienstag 70 Jahre alten Lebens.

          Mensch-Maschinen- und Roboter-Musik: Und doch ist einer der Urheber aus Fleisch und Blut. Karl Bartos stellt seine Autobiografie vor.
          Mensch-Maschinen- und Roboter-Musik: Und doch ist einer der Urheber aus Fleisch und Blut. Karl Bartos stellt seine Autobiografie vor. : Bild: Eichborn Verlag

          Seine Werke als Solokünstler und in neuen Formationen sind in jeglicher Hinsicht bemerkenswert. Kein anderer deutscher Musiker, der aus dem Umfeld der Kraut-Innovatoren hervorgegangen ist, hat so intensiv die Rolle als Mentor für seine Bewunderer angenommen.

          Er hat mit englischen Musikern wie Bernard Sumner (Joy Division, New Order), mit Johnny Marr (The Smiths), Andy McClusky (OMD) und den Pet Shop Boys zusammengearbeitet. Mit Ausnahme von Marr hätte die Musik jedes einzelnen dieser Musiker ohne Kraftwerk der Bartos-Jahre sehr anders geklungen – ja, sie wären nicht in dieser Form zur elektronischen Musik inspiriert worden, hätte er nicht diesen Sound miterfunden.

          Die Kompositionen, die er von der Mitte der neunziger Jahre an veröffentlicht hat, haben eine größere Bandbreite, als man für Elektronikmusiker vermuten könnte. Nie wollte er die Bitte von Plattenlabels erfüllen, allein alte Skizzen neu auf den Markt zu bringen, er kreierte immer frische Werke, die nur zum Teil an die Kraftwerk-Sounds der siebziger und frühen achtziger Jahre anknüpfen.

          Eines der wenigen deutschen Britpop-Alben

          Seine Kooperation mit Marr und Sumner klingt wie der euphorische Britpop dieser Zeit. Und dass das kein Versehen war, bestätigte er mit dem Album „Electric Music“ (auf dem er ganz unverfälscht sehr gut singt) und Songs wie „Sunshine“ oder „Call on me“. Deutscher Britpop, wie er sonst kaum zu hören war.

          Als im vergangenen Jahr mit Kraftwerk erstmals eine deutsche Band in die Rock’n’Roll Hall of Fame in Cleveland aufgenommen wurde (nicht in der Kategorie Künstler, sondern Frühe Einflüsse, in der auch viele für den Rock wichtige Jazz- und Blues-Künstler versammelt sind), war es wegen all dieser Verdienste auch dieses klassische Quartett und nicht allein die Urformation (wie bei anderen Bands), die geehrt wurde: Ralf Hütter, Florian Schneider, Wolfgang Flür und Karl Bartos.

          Die Würdigungen von Musikern wie Depeche Mode und LCD Soundsystem fielen hymnisch aus. Bei derselben Gelegenheit wurden Tina Turner, Gil Scott-Heron (ebenfalls in der Kategorie Frühe Einflüsse) und Todd Rundgren dieser Ahnenreihe des Pop hinzugefügt. Namen, die ein Gefühl dafür geben, in welcher Liga Bartos mit seinen Mitstreitern gespielt hat. Unter Frühe Einflüsse finden sich auch Billie Holiday, Mahalia Jackson und Louis Armstrong.

          Er ist zwar in Marktschellenberg im Berchtesgadener Land geboren, doch zählt er zu den Urahnen der Düsseldorfer Musikszene. Er studierte dort an der Robert Schumann Hochschule Klavier, Vibraphon und Schlagzeug. Bevor er zu Kraftwerk stieß, spielte er mit Marius Müller-Westernhagen und Bodo Staiger, der später Rheingold gründete, deren Bandmitglied Lothar Manteuffel dann sein Partner auf dem ersten Album von Elektrik Music war.

          Später lehrte er als Gastprofessor Auditive Mediengestaltung im Studiengang Sound Studies an der Universität der Künste in Berlin. Er war Jurymitglied der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und reichte selbst einen Beitrag ein. Sein Album „Off The Record“ von 2013 ist das konsistenteste Werk seiner Solokarriere und wieder ganz im Stil von „Computerwelt“ und „Mensch Maschine“. An diesem Dienstag wird der Pop-Pionier Karl Bartos 70 Jahre alt.

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