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Kraftwerk in der Hall of Fame : Vier Afrofuturisten aus Düsseldorf

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Im Jahr 1981 treten Kraftwerk im New Yorker Club Ritz auf. Bild: Corbis via Getty Images

Kraftwerk wird an diesem Samstag in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame aufgenommen. Warum hat man jahrzehntelang verkannt, welche Rolle die afroamerikanische Musik beim Welterfolg der Elektronikpioniere spielte?

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          An diesem Wochenende kürt die Rock ’n’ Roll Hall of Fame in Cleveland neue Mitglieder. Darunter sind Kraftwerk als erste deutsche Gruppe, die in diese heiligen Hallen der Popmusik aufgenommen wird. Auch wenn die vier Düsseldorfer seit Jahrzehnten nichts Neues veröffentlicht haben, gilt Kraftwerk auch 2021 immer noch als bedeutendster internationaler Pop-Export Deutschlands – mit globalem Einfluss.

          Blickt man auf die Website der Hall of Fame, wundert man sich aber etwas. Als die wichtigsten Einflüsse der Band werden dort die Beach Boys, Velvet Underground und Karlheinz Stockhausen genannt. Klar, den Refrain ihres ersten Welthits – „Fahrn, Fahrn, Fahrn Auf Der Autobahn“ – können wohl immer noch die meisten mitsingen, es ist die deutsche Antwort auf „Fun Fun Fun“ der Beach Boys.

          Und es ist auch allgemein akzeptiert, dass Kraftwerk mit ihrem 1974 erschienenen Album „Autobahn“ angetreten waren, mittels neuer elektronischer Musikinstrumente Blues-Einflüsse aus ihrer Musik zu verbannen und sich melodisch auf Bach und Schubert und visuell auf Weimar-Expressionismus und Bauhaus zu beziehen – und dabei eine autochthone künstlerische Handschrift entwickelten. Kraftwerk, die romantischen Antirocker.

          Hartnäckig hält sich aber der Mythos, dass die zukunftsorientierte Musik von Kraftwerk in einem kulturell vakuumverpackten West Germany entstand und die Gruppe mithilfe ihrer hypermodernen, elektronischen Gerätschaften einen Sound erzeugte, der so visionär und neu war, dass man sich sogar in Großbritannien die Augen rieb, weil die musikalische Zukunft plötzlich aus Deutschland zu kommen schien.

          Als einer der beiden Köpfe von Kraftwerk, Florian Schneider, im Frühjahr 2020 starb, waren die großen Feuilletons voll mit Nachrufen, die noch einmal den Tenor anstimmten, die elektronische Pop- und Tanzmusik von heute würde ohne die deutschen Patenonkel von Kraftwerk nicht existieren.

          Doch nicht erst seit dem Tod von Florian Schneider hat sich eine andere Lesart des deutschen Pop-Phänomens Kraftwerk ausgebildet – neben der bislang stark eurozentrisch ausgerichteten Exegese in Musikzeitschriften wie Wire. In dieser anderen Lesart wird das Werk der Düsseldorfer in ein Kontinuum jahrzehntealter, transatlantischer Musikdialoge eingeordnet.

          Vor allem die Rolle der politischen, sozialen und kulturellen Emanzipation der Afroamerikaner in den Sechzigerjahren gerät dabei in den Blick, insbesondere die Innovationen in der afroamerikanischen Populärmusik. Kraftwerk antworteten darauf, indem sie in vielschichtiger Form musikalisch winzige, aber signifikante Veränderungen sofort erkannten, absorbierten und neu nutzten, insbesondere, was Rhythmus und Technologie angeht.

          Der umgekehrte Einfluss war von Anfang an sichtbar

          Warum aber wurde bislang immer nur von Kraftwerks Einfluss auf die schwarze Musik geredet, obwohl der umgekehrte Einfluss von Anfang an sichtbar war? Lag es daran, dass weiße Journalisten, die der Musik von Kraftwerk huldigten, der schwarzen Musik weniger Avantgarde-Potential zuschrieben? War das Narrativ von Kraftwerk als Epigonen der deutschen Ingenieurkünste griffiger als deren Zitatspiele mit den komplexen Stilblüten der afroamerikanischen Musik? Die Köpfe von Kraftwerk, Ralf Hütter und Florian Schneider, erwähnten in ihren seltenen Interviews gelegentlich, dass sie Fans von Tamla Motown waren. Aber als Liebhaber von Funk und Jazz zeigten sie sich eigentlich nie. Vermutlich hätte man die Verbindungen sonst schon früher erkannt.

          Der Welterfolg von Kraftwerk wäre tatsächlich kaum denkbar ohne die Vorarbeit afroamerikanischer Musik. Und auch nicht ohne die spätere afroamerikanische Rezeption von Kraftwerk. Die transatlantische, kulturelle Wechselbeziehung begann aber zuerst in Düsseldorf. Belege für die Einflüsse schwarzer Musik finden sich an vielen Stellen in der DNA des Kraftwerk-Sounds. Etwa auf „Tone Float“, so heißt der Titelsong des Debütalbums von Ralf Hütter und Florian Schneider, 1970 noch unter dem Namen Die Organisation, erst danach benannten sie sich in Kraftwerk um. Hier kann man die Band mit einem Rhythmus experimentieren hören, der dem „Bo Diddley“-Beat ähnelt: einem stark akzentuierten Schlagzeugmuster, das den Rock ’n’ Roll in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren dominierte.

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