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Zum Tod von Klaus Schulze : Platz da im Technohimmel

Klaus Schulze, geboren am 4. August 1947 in Berlin, gestorben am 26. April 2022, Anfang der Siebziger Bild: Interfoto

Er malte mit Musik zu Krautrock, Filmen und Computerspielen. Sein letztes Album nannte er selbst einen Salut „an das große Geschenk des Lebens“. Zum Tod des Elektro-Einzelkämpfers Klaus Schulze.

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          In der Kunst gibt es das Archeiropoieton, das „nicht von Menschenhand verfertigte Bild“, das den Menschen direkt vom Himmel zufällt, etwa wenn der Evangelist Lukas der Legende nach durch göttliche Eingebung das erste Bild der Muttergottes mit Kind malt. In der Historiographie des Moog-Synthesizers und der ihm zu entlockenden, ebenfalls nicht von Menschenhand gemachten Klänge gebührt ihm die Rolle des Lukas: Der am 4. August 1947 in Berlin geborene Haut-und-Haar-Musiker, Komponist und Produzent Klaus Schulze hatte als Erster den Rubikon zur konsequenten Sphärenmusik überschritten.

          Stefan Trinks
          Redakteur im Feuilleton.

          Nach Schulze gab es für populäre Avantgardisten kein Zurück mehr in biederere Gefilde. Dabei frickelte er nie, wie das meistverwendete diminutive Verb für das Arbeiten mit elektronischen Apparaten wie Synthesizern lautet – Schulze komponierte. Er begründete das, was heute als „Ambient“ in einer Schwundstufe von Brian Enos „Music for Airports“ tatsächlich an Flughäfen als flauschiger Klangteppich zur Beruhigung jettender Seelen ausgelegt wird, mit dem Unterschied, dass es bei Schulze immer widerborstige Webfehler gibt.

          In seiner rund fünf Jahrzehnte währenden Karriere entstanden erstaunliche rund fünfzig Platten, darunter elektronische Meilensteine wie „Moondawn“ von 1976 oder „Dune“ von 1979. Bekannt wurde er als Gründungsmitglied der Krautrockkapelle Ash Ra Tempel im Jahr 1970 sowie als Schlagzeuger der gleichermaßen wichtigen Band Tange­rine Dream um Edgar Froese, die Mitte der Siebziger nicht nur David Bowie und Brian Eno begeisterten, bevor Schulze sich zunehmend auf Solo-Pfade begab.

          Er wird zu den Begründern der avantgardistischen „Berliner Schule“ gezählt, die mit ihren repetitiven Strukturen zu einem der inzwischen weltweit reklamierten Vorläufer des Techno wurde. In Videoaufnahmen dieser Zeit sieht man den stets bescheiden Auftretenden geradezu verschanzt hinter Keyboard- und Synthesizer-Wällen. Als umtriebigem Filmmusiker bereiteten ihm tonale Bebilderungen zu paranormalen Aktivitäten wie in den Horror-Thrillern „Next of Kin“ und „Angst“ von 1984 oder „Impotent Rage/Am I Being Clear Now?“ als Soundtrack zu „Grand Theft Auto V“ von 2021 größte Freude.

          Ohnehin war ein besonderes Vermögen Schulzes die sanfte Synästhesie. Wenn dem Tag die Augen gehören, der Nacht hingegen die Ohren, musste man bei dem immer mit bildhaften Klängen „malenden“ Schulze nur kurz die Augen schließen – schon bewegten sich vor dem inneren Sehorgan Farbgeometrien wie Amplituden auf und ab oder rotierten, feuerwerksgleich, Kreise und Lichtblumen. Er verwehrte sich keinesfalls gegen derartige Illuminationen, im Gegenteil: Schulze selbst segnete für seine Komposition „Osiris Pt#1“ einen „Official Visualizer“ ab, der zu den von ihm ausgelegten Klangwebteppichen und Sphärenklängen ebensolche abstrakt-geometrischen Formen errechnete. Kurz vor Veröffentlichung des Albums „Deus Arrakis“ ist Klaus Schulze am Dienstag mit 74 Jahren gestorben.

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