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Judith Holofernes im Gespräch : „Das Musikbusiness ist noch immer krass patriarchalisch geprägt“

  • -Aktualisiert am

Will sich unter anderem mit Crowdfunding im Musikbusiness behaupten: Judith Holofernes Bild: Daniel Pilar

Eine Industrie, die Frauen aussortiert, sobald sie Mütter werden, kann gar nicht viele Frauen beherbergen: Ein Gespräch mit der Musikerin und „Wir sind Helden“-Frontfrau Judith Holofernes über nervige Klischees und Latte schlürfende Prenzlauer-Berg-Muttis.

          3 Min.

          Ist das Popbusiness immer noch so männerlastig?

          Oliver Georgi
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Klar, total. Da muss man sich nur die Line-ups angucken. Man spürt es aber auch sonst an jeder Ecke. Du spielst bei irgendeinem Festival, und danach fragt dich ein Journalist backstage, ob du zu Hause auch manchmal ein Instrument spielst, weil er nicht gesehen hat, dass du gerade die Rhythmusgitarre in der Band bedient hast. Oder es kommt vor, dass Techniker dich nicht ernst nehmen. Am meisten habe ich das aber gemerkt, als ich mich fortgepflanzt habe. Da wurde es drastisch sichtbar, das hat mich für zwei Jahre wirklich niedergeschmettert.

          Inwiefern?

          Ich habe mich bei meiner ersten Soloplatte überreden lassen, als erste Single einen von drei Songs auszukoppeln, die mit dem Thema Fortpflanzung zu tun haben. Ich wusste schon, dass das eine saublöde Idee ist, obwohl ich den Song liebe. Eigentlich hatte ich auch das Gefühl, der Grundtenor des Albums ist ein ganz anderer, ich war auf ganz andere Stücke stolz. Aber in der Presse wurde die Platte fast ausschließlich als „Jetzt ist sie Mama, das merkt man auch“-Album wahrgenommen. In den Kritiken sind plötzlich irgendwelche Kinderinstrumente aufgetaucht und Kinderchöre, die es auf der Platte gar nicht gab. Alles wurde diesem Narrativ untergeordnet, egal, was ich machte.

          Das vollständige Interview mit Judith Holofernes ist im Buch „Soundtrack Deutschland: Wie Musik made in Germany unser Land prägt“ von Martin Benninghoff und Oliver Georgi mit Fotos von Daniel Pilar erschienen. 23 Künstler im Gespräch. EMF, 240 Seiten, 36 Euro.
          Das vollständige Interview mit Judith Holofernes ist im Buch „Soundtrack Deutschland: Wie Musik made in Germany unser Land prägt“ von Martin Benninghoff und Oliver Georgi mit Fotos von Daniel Pilar erschienen. 23 Künstler im Gespräch. EMF, 240 Seiten, 36 Euro. : Bild: Privat

          Wie hast du reagiert?

          Ich war total geschockt, weil ich das nicht erwartet hatte. Am Anfang habe ich noch relativ freimütig über das Thema geredet, weil ich dachte, es ist wertvoll, über die Realität des Älterwerdens und Elternseins zu sprechen. Aber bald habe ich das gelassen, weil das Mutti-Narrativ immer krasser wurde. Wie bei so einer Konzernbossin, der alle nach ihrem ersten Kind immer sagen, wie mütterlich sie ihre Flipcharts organisiert.

          Oder über die gesagt wird, super, wie die das alles schafft!

          Genau, das ist dasselbe Narrativ, nur umgedreht. Plötzlich wurde ich gefragt: Hey, Judith, was kannst du den ganzen jungen Frauen sagen? Und ich dachte nur: Keine Ahnung, holt euch ’nen Babysitter! Ich war mit meinen Kindern auf Tour, wenige Leute konnten daraus etwas für ihr Leben ziehen. Und plötzlich haben auch Radiosender mich nicht mehr gespielt.

          Weil du vermeintlich nicht mehr ins Schema gepasst hast?

          Weil ich mich durch das Kind aus der Zielgruppe verabschiedet hatte. Auf einmal gingen alle möglichen Türen zu; ich war plötzlich erwachsen, nicht mehr Pop, kein Jugendformat mehr. Auch Festivals, auf denen ich gerne gespielt hätte, haben mich nicht mehr eingeladen. Dabei war meine Platte alles andere als „Middle-of-the-road“. Mich hat das so zerstört, dass ich aufhören wollte.

          Deinem Mann wäre das so wahrscheinlich nie passiert.

          Natürlich nicht! Schon als wir noch mit den Kindern auf Tour waren, hat Pola (Mitmusiker und Ehemann, Anm. d. Autoren) nie jemand gefragt, wie er das alles unter einen Hut bekommt.

          Gab es einen Moment, an dem du dachtest: Okay, dann mache ich halt keine Songs mehr über Kinder?

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