Helene Fischer, eine Erkundung : Atemlos durch Tag und Nacht
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Ihre Stimme würde ich nicht unbedingt als unnachahmlich bezeichnen, sie ist eher ohne besonderes eigenes Merkmal. Aber sie singt schön sauber und kommt mühelos auch in höhere Oktaven. Länger gehaltene Vokale nutzt sie zu einem leicht schluchzenden Vibrato.
Es klingt wie ein Deo, wenn ein Deo klingen würde
Der Song selber ist vielleicht nicht der allerschlimmste Song aller Zeiten, aber er kommt dem schon nahe, sagen wir ungefähr die Entfernung von Dortmund nach Unna, also knapp 16 Kilometer. Er klingt wie ein Deo, wenn ein Deo klingen würde, und zwar eines zum Rollen, mit jugendlicher Zielgruppe. Oder wie ein herkömmlicher Schlager auf Red Bull. Auf jeden Fall ist er das absolute Gegenteil von atemlos oder Nacht. Er ist so sexy wie eine Bahnhofsdurchsage, dass ein Regionalzugabteil auf einem geänderten Gleisabschnitt hält.
Ich höre ihn dreimal hintereinander - vorsichtig, mit angehaltenem Atem, um ihn ja nicht anschließend den ganzen Tag lang mit mir herumzutragen. Und freue mich über mein Leben, das mir ermöglicht, an diesem Song bislang mühelos vorbeigekommen zu sein.
Aber Helene Fischer hat natürlich noch andere Songs. Und 2013 stand auf Platz acht der beliebtesten Mädchenvornamen in Schweden Olivia. Und Cherophobie bezeichnet die Angst vor Fröhlichkeit, Lustigkeit. Und Methrophobie die Angst vor oder den Hass auf Poesie. Und Anophelophobie nennt man die Angst, eine Frau beim Sex zu verletzen, das aber wirklich nur nebenbei.
Ich finde „Atemlos durch die Nacht“ jetzt sogar richtig gut
Ich versuche es als Nächstes mit dem Stück „Ich wollte nie erwachsen sein“. Und schaffe es nicht mal bis zum Refrain. Den Grund dafür kann man ruhig als relativ ausgeprägte Arachibutyrophobie bezeichnen (die Angst, dass Erdnussbutter am Gaumen kleben bleibt). Gegen diesen Song, genauer die ersten paar Takte, ist „Ein bisschen Frieden“ von Nicole Elektropunk.
Als Nächstes wage ich: „Und Morgen früh küss’ ich dich wach“. Ganz große Germanophobie plötzlich, gepaart mit Myxophobie (Angst vor Schleim). Ein Name für die Angst vor Karnevalslaune findet sich leider nicht in der einschlägigen Phobien-Literatur. Doch es gibt sie, ich kann es bezeugen, oh ja, jetzt kann ich das.
Nach einem weiteren Versuch - „Du fängst mich auf und lässt mich fliegen“ - finde ich „Atemlos durch die Nacht“ im Nachhinein doch nicht mehr so schlecht. Ich finde es jetzt sogar richtig gut. Ein guter, ein großer Song. Fast schade, dass ich ihn hoffentlich nie wieder hören werde.
Ich gebe gerne einige Text-Beispiele
Um mich noch tiefer in die Materie zu versenken, befasse ich mich anschließend - bei offenem Fenster den Verkehrslärm genießend - mit den Texten. Ich gebe Ihnen hier gerne Beispiele, denn geteiltes Leid ist halbes Leid. Achtung (aus „Nur wer den Wahnsinn liebt“): Du hast meine Welt völlig verdreht / Manchmal gibt’s nachts Frühstück im Bett / Oder ganz spontan geht’s mal nach Amsterdam. Tanzen im Bad, / Sterne berühr’n / Mit dir kann mir fast alles passier’n / Bin sehr gespannt, was da noch alles kommt.
Oder (aus „Hundert Prozent“): Barfuß durch das Feuer / Würd ich immer mit dir gehn, / Und ich möchte in deinen Augen / Meine schönsten Träume sehn / Ich bin hoch mit dir geflogen / Und bin mit dir aufgewacht / Doch ich will von dir mehr als die Nacht. Aus Nacht, Augen, Träumen und Feuer setzen sich inhaltlich überhaupt sehr viele Helene-Fischer-Songs zusammen. Und natürlich Liebe. Liebe, Liebe, Liebe, bis man Cardiophobie, die Angst, etwas am Herzen zu haben, wirklich existentiell begreift.
Was soll ich sagen, ich verstehe das alles nicht. Aber vielleicht erklärt sich mein Abweichen vom derzeitigen Normalgeschmack ja nicht einmal nur durch Arroganz (wie sie mir Hunderte von Viva-Usern bestimmt gerne bestätigen würden). Sondern einfach auch durch eine gesunde Portion Hadephobie - Angst vor der Hölle.